Freundschaft inmitten von Feindschaft

Über 60 Jahre Konflikt spalten Israelis und Palästinenser. Dass es anders geht, beweist die Deutsch-Palästinenserin Joujou mit ihrem Facebook-Projekt. Sie kann bewegende Geschichten erzählen.

Fast täglich wird in den Medien über den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern berichtet. Oft entsteht das Bild, es gäbe nur Krieg, Gewalt, Terror und Hass in der umkämpften Region im Nahen Osten. So ging es auch Joujou, der Tochter eines palästinensischen Flüchtlings, die in München lebt und arbeitet, bis sie im März 2012 auf eine Facebook-Seite stieß, die sie verblüffte.

Israel loves Iran“ war dort zu lesen. Sie stellte Nachforschungen an und kam in Kontakt mit Ronny, dem Urheber der Seite. Der 41-jährige Israeli hatte zum Zeitpunkt erneuter Kriegserklärungen zwischen Israel und dem Iran ein Bild von sich und seiner Tochter hochgeladen, auf dem stand: „Iraner, wir werden euer Land nie bombardieren. Wir lieben euch.“ Innerhalb von 24 Stunden wurde dieses Bild tausende Male geteilt. Antworten in Form von ähnlichen Bildern und Texten wie „Meine israelischen Freunde: Ich hasse euch nicht. Ich möchte keinen Krieg“, kamen nicht nur aus dem Iran, sondern auch aus anderen arabischen Staaten, wie Ägypten, Jordanien und dem Libanon.

Nach dem Gespräch mit Ronny wurde Joujou klar: Die „Israel loves Iran“-Kampagne kann ohne die Palästinenser nicht funktionieren, da der israelisch-iranische Konflikt eng mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt verknüpft ist. So wurde die Idee für „Palestine loves Israel“ geboren. Binnen kürzester Zeit entstanden viele weitere Seiten wie „Iran loves Israel“ und „Israel loves Palestine“.

„Die Idee, Freundschaften von Menschen zu unterstützen, hat mich einfach angesprochen“, erzählt die 32-jährige Joujou, die aus Sicherheitsgründen nicht mit ihrem echten Namen genannt werden will. „Was soll das bringen?“, fragen viele. Es bringt aber unglaublich viel. Immer wieder gibt es Geschichten von Menschen, die voller Hass oder Misstrauen auf die Seite kommen, Kontakte schließen und sich dann langsam verändern.“

Unglaubliche Geschichten

So zum Beispiel die Geschichte vom 19-jährigen Eslam aus dem Gaza-Streifen, dessen Nachbarschaft im letzten Krieg von Israel bombardiert wurde und der daraufhin seinen Frust auf der Facebook-Seite entlud. Als typischer Gaza-Streifen-Bewohner hatte er noch nie in seinem Leben einen Israeli gesehen, geschweige denn mit einem geredet. Er wollte wissen, was Israelis für Menschen seien, ob sie überhaupt Gefühle und Mitleid kannten. Er schrieb inmitten des Kriegsgetümmels: „Ich bin aus Gaza. Ich möchte nicht sterben. Bomben sind überall und ich bin nirgends sicher. Ich wünschte mein Volk würde die Idee von Frieden verstehen. Wir, die junge Generation aus Gaza, wissen nichts über euch Israelis. Wir haben noch nie einen von euch gesehen, wir sehen nur eure Flugzeuge, eure Bomben und andere Tötungsmaschinen. … Ich weiß nicht, ob ihr Menschen seid und auch Gefühle habt. Liebt ihr? Hasst ihr? Denkt ihr? Glaubt ihr? Seid ihr wie wir?“

Innerhalb einer Stunde antworteten Dutzende von Israelis mit mitfühlenden Worten. Sie schrieben, dass sie sich um die Menschen im Gaza sorgten, erklärten, dass sie den Krieg auch nicht wollten und ebenfalls unter Angst litten. Eslam erhielt um die fünfzig Freundschaftsanfragen von Israelis. Sein Weltbild wurde komplett auf den Kopf gestellt. Zusammen mit seinen neuen Freunden organisierte er einen Hilfskonvoi. Während die Israelis Nahrung, Decken und Windeln spendeten, koordinierte er die Aktion aus dem abgeriegelten Gaza heraus. Hunderten Bewohnern des Gaza-Streifens konnte geholfen werden.

Vom Hitler-Verteidiger zum Friedenskämpfer

Oder die Geschichte von einem jungen Araber, der Bilder von Hitler auf der Facebook-Seite teilte und kommentierte: „Hitler hat nicht genug Juden umgebracht.“ „Normalerweise lösche ich solche Sachen sofort, aber dieses Mal hatte ich es übersehen. Als ich es bemerkte, hatte bereits ein Israeli auf ganz besondere Art und Weise geantwortet“, erklärte Joujou. Dieser schrieb: „Ich sehe was du gepostet hast und unterstelle dir jetzt einfach mal, dass du keine Ahnung hast und indoktriniert und fanatisiert wurdest. Lass mich dir helfen.“ Er schickte ihm einige Videos von Ausschwitz und einen Link zum Holocaust. Kurz darauf entschuldigte sich der Jugendliche und schrieb Joujou, dass es ihm leid täte, er das alles nicht gewusst habe und in Zukunft für den Frieden arbeiten möchte. Er habe sein Vorhaben wahr gemacht und setzte sich heute für Frieden und Verständigung ein, erzählt Joujou.

Ein Zeichen der Hoffnung

Immer wieder komme es zu solchen Wandlungen. Joujou glaubt fest daran, dass der erste Schritt zum Frieden direkte Kommunikation zwischen beiden Seiten ist: „Persönliche Freundschaften sind ein wichtiges Instrument für Völkerverständigung. Frieden kann nur erreicht werden, indem man versucht die andere Seite zu verstehen.“

Die Seite hat mittlerweile knapp 27.000 Follower. Jeden Tag kommen ungefähr zehn Likes dazu. Während des Gazakriegs im Sommer 2014 verdoppelte sich deren Anzahl während der 50-tägigen Auseinandersetzung sogar.

Die Deutsch-Palästinenserin Joujou und der Israeli Ronny sind durch das Projekt eng zusammengewachsen. Sie haben die „Peace Factory“ gegründet, die eine „Brücke der Kommunikation zwischen Menschen im Nahen Osten“ schlagen möchte. Ganz aktiv setzen sie durch ihre Arbeit ein Zeichen für Hoffnung, Verständigung und Frieden, in einer Region in der sonst Unwissenheit, Gewalt und Hass regieren.

Von Ruth Bauer

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