Terror – Ihr Urteil ist nicht meins: Oder Warum Lars Koch schuldig ist

Knapp sieben Millionen Menschen haben den Fernsehfilm „Terror – Ihr Urteil“ im Abendprogramm der ARD gesehen.  Der Kurznachrichtendienst Twitter ist nach Abschluss der Sendung und besonders nach der Verkündung des Ergebnisses regelrecht explodiert.

Erstmalig konnte das Fernsehpublikum der ARD über das Ende eines Spielfilms per Anruf oder Online-Voting abstimmen. Der Spielfilm „Terror – Ihr Urteil“ basiert auf einem Theaterstück des Schriftstellers und Strafverteidigers Ferdinand von Schirach  und dreht sich um eine Gerichtsverhandlung.

Der Fall: Kampfpilot Lars Koch (Florian David Fitz) schießt entgegen eindeutiger Befehle eine von Terroristen entführte Lufthansa-Maschine ab, da diese auf ein Fußballstadion zufliegt, in dem sich 70.000 Menschen befinden. Dabei kommen die 164 Insassen der Maschine ums Leben.

Die Frage: Ist Lars Koch schuldig oder unschuldig?

Das Experiment war rein in Zahlen ausgedrückt ein Erfolg, wie der Branchendienst Meedia berichtet: 7 Millionen Zuschauer, 20% Marktanteil in der Primetime, rund 600.000 eingegangene Abstimmungen der Zuschauer.

Und auch das Ergebnis der Abstimmung von gestern Abend ist klar. 86,9% sprachen den Angeklagten frei. Ich, zu den anderen 13,1% zählenden Menschen, hätte zwar mit einem Urteil dieser Art gerechnet, doch überraschte mich die massive Deutlichkeit.

Nach unserem Grundgesetz ist es verboten, Menschenleben gegen Menschenleben aufzuwiegen. Ein Menschenleben ist genauso viel Wert wie hundert Menschenleben. Trotzdem denken, wie es scheint, die meisten Menschen: „Besser es sterben 164 Menschen, die ja sowieso sterben werden und ich rette somit 70.000 Menschen.“ Auf Twitter habe ich gelesen, dieser Mann sei ein Held. Er nähme so viel Übel auf sich, nur um das größere Übel zu vermeiden.

In der teleologischen Ethik nennen wir diesen Gedankengang Utilitarismus oder auch Folgenethik. Der Weg, der das geringste Übel für die größte Anzahl von Menschen darstellt, ist der moralisch richtige. Klingt erst einmal gut, doch so ist das Leben nicht. Übel ist nicht messbar, geschweige denn wer alles davon betroffen ist, wenn wir eine Entscheidung dieser Art treffen.

Richtig ist, was für die meisten das geringste Übel darstellt?

Sitzen in diesem Flugzeug nur Menschen, die alle einen riesigen Freundeskreis haben, der nach ihrem Tod trauert? Also mehr Übel für mehr Menschen? Fliegt das Flugzeug so in das Stadion, dass „nur“ 10.000 Menschen ums Leben kommen? Haben diese 10.000 Menschen jeweils nur einen Menschen, der um sie trauert? Also ein geringeres allgemeines Übel? Alles Fragen, die total absurd sind, die man aber beantworten können müsste, wenn man nach der Folgenethik, also dem Leitspruch „das geringste Übel für die größte Anzahl an Menschen“ handelt. Da das niemand kann, macht es auch keinen Sinn nach diesem Leitspruch zu handeln.

Ein sehr passendes Beispiel, das im Film genannt wurde: Ein Mann kommt in ein Krankenhaus und ist todkrank. Er wird wahrscheinlich nur noch wenige Tage zu leben haben. In dem gleichen Krankenhaus liegen drei Patienten. Einer braucht ein neues Herz, der andere eine neue Leber, der Dritte eine neue Lunge. Töte ich nun als Oberarzt diesen einen Mann um drei Leben zu retten? Er hätte ja ohnehin nur noch wenig Zeit zu leben. Spiele ich ein bisschen Gott? Natürlich nicht.

Aber ab welchem Verhältnis ist Mord dann auf einmal legitim? 1 zu 100 vielleicht? 1 zu 1.000? Stellen wir uns vor unsere Wissenschaft und Technologien schreiten so weit voran, dass wir irgendwann mit nur einem einzigen Menschen das Leben von hundert anderen retten könnten. Opfern wir dann regelmäßig Menschen, die nur noch kurz zu leben haben, Babys mit noch keiner Selbstwahrnehmung, geistig Behinderte? Das klingt alles ziemlich makaber, doch damit folgen wir nur dem Gedankengang, dem gestern Abend 86,9% der Anrufer gefolgt sind.

Ein anderes Argument für Lars Kochs Unschuld war, dass das Flugzeug durch die Übernahme der Terroristen zu einer Waffe geworden sei. Und diese Waffe gegen Zivilisten müsse man bekämpfen. Deswegen sei es notwendig das Flugzeug abzuschießen.

Stellen wir uns nun einmal vor, es hätten nicht 70.000 Menschen sondern nur zwei Menschen im Stadion gesessen. Ist das Flugzeug dann immer noch eine Waffe, die unbedingt unschädlich gemacht werden muss, um das Leben dieser zwei Menschen zu retten? Denken wir dann darüber nach, dass der Pilot des Fliegers im letzten Moment noch hätte handeln können, das die Insassen die Cockpittür mit all ihren Kräften hätten aufbrechen können oder der Copilot dem Terroristen im Angesicht des Todes noch die Waffe aus der Hand hätte schlagen können? Hat Lars Koch in diesem Fall die zwei Menschen im Stadion mit dem Abschuss der Maschine gerettet und ist ein Held? Oder hat er den Menschen im Flieger die letzte Hoffnung genommen, die Situation doch noch zu kontrollieren?

So abgedroschen es klingen mag: Eine Gesellschaft braucht Prinzipien. Natürlich ist jedem bewusst, dass sich der fiktive Charakter Lars Koch in einer Extremsituation befand. Natürlich weiß man vielleicht selbst nicht, wie man genau gehandelt hätte und natürlich kann man diese Art zu handeln auch nachvollziehen. Ein Handeln nachvollziehen zu können bedeutet jedoch nicht, dass dieses Handeln vor dem Gesetz nicht unrecht und moralisch richtig ist.

Noch einmal zum Beispiel von gestern Abend. Es wurde gesagt, dass das Stadion 15 Minuten bräuchte um vollständig evakuiert zu werden. Dass das Stadion Ziel der einführten Maschine ist wurde 13 Minuten vor Abschuss der Maschine klar. Das Stadion wurde nicht evakuiert. Warum nicht? Die Antwort: Weil jeder davon ausgegangen ist, dass Lars Koch trotz des Schussverbotes schießen wird. Es war klar, dass er sich nicht an seine Vorschriften halten wird und man dachte erst gar nicht über eine Evakuierung nach. Anders wäre das gewesen, wenn jeder Beteiligte gewusst hätte, dass Lars Koch und jeder andere Kampfpilot sich an das Gesetzt halten und nicht schießen wird. Dann hätte man das Stadion evakuiert, Lars Koch hätte das Flugzeug nicht abgeschossen und den Insassen wäre die letzte Chance auf ihr Überleben nicht genommen worden.

Von Kim von Ciriacy

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