Amazon Paket liegt auf einem Tisch

Danke, fürs Bescheißen: Kostenlose Produkte bei Amazon

Jeder zweite Einkauf im Internet geht über Amazon. Günstige Preise, schnelle Lieferung, zuvorkommender Kundenservice – das zeichnet Amazon aus. Durch die Vielzahl an Kunden kommt auch ein entscheidender Vorteil des Online-Kaufhauses dazu: Kundenbewertungen. Kenne ich ein Produkt nicht, dann schau ich, was andere Kunden dazu sagen. Amazon oder andere Händler können mir viel über ihr Produkt sagen. Aber anderen Kunden, Menschen wie du und ich, kann man vertrauen. Oder?

„Amazon Produkttester Deutschland“

Ich scrolle durch meine Timeline bei Facebook. Immer wieder erscheinen Gruppen, die „mich vielleicht interessieren könnten.“ Sie interessieren mich nie. Doch dann erscheint eine Gruppe, die meine Aufmerksamkeit erhält: „Amazon Produkttester Deutschland.“ Als regelmäßiger Amazon-Kunde werde ich neugierig. Außerdem klingt „Produkttester“ nach was Kostenlosem. Spannend.

Die Facebook Gruppe "Produkttester Deutschland Hero-Deal.de"
Die Facebook Gruppe „Produkttester Deutschland Hero-Deal.de“

Ich schicke also ein Beitrittsgesuch ab. Keine Stunde vergeht, und ich bin Teil einer fast 50.000 Nutzer starken Gruppe. Und tatsächlich: diverse, meist aus dem asiatischen Raum kommende, Facebook-Nutzer präsentieren kostenlose Produkte. Einzige Gegenleistung: eine positive Bewertung bei Amazon.

Eine Hand wäscht die Andere

Eine Smart-Home-Steckdose erhält als erstes meine Aufmerksamkeit. Ich denke sofort an die LED-Lichterkette an der Balkon-Tür. In der Beschreibung steht, man solle bei Interesse die Urheberin des Facebook-Posts einfach mit dem Link zum Amazon-Profil anschreiben. Gesagt, getan.

Noch am gleichen Tag antwortet Rongli L. mir und fragt, ob eine Rückerstattung per PayPal nach der positiven Bewertung für mich in Ordnung wäre. Ich stimme zu und bekomme als Antwort nicht einen direkten Produktlink, sondern Suchbegriffe zugeschickt. Ansonsten könne Amazon mitbekommen, dass ich nicht „echt“ auf das Produkt gestoßen bin.

Also suche ich nach dem Artikel, finde und bestelle ihn. Ich freue mich und schicke der Dame die Bestell-Nummer. Wenn ich die Bewertung verfasst habe, solle ich mich melden, meint Rongli noch zum Abschied.

Ich bescheiße, Amazon sagt danke

Am darauffolgenden Tag überreicht der Paket-Bote das neueste Mitglied in meiner Smart-Home-Familie. Die Einrichtung funktioniert spärlich, aber letztendlich bekomme ich das Gerät zum Laufen. Das Ding war umsonst, denke ich mir, warum soll man jetzt meckern.

Ich schreibe also eine positive Bewertung, die holprige Einrichtung kommt darin natürlich nicht vor. Binnen Sekunden bedankt sich Amazon bei mir, dass ich mir die Mühe für eine Bewertung gemacht habe. Amazon bedankt sich bei mir fürs Bescheißen der eigenen Plattform.

Mail Amazon sagt Danke
Dankeschön-Mail von Amazon: Das Online-Kaufhaus bedankt sich fürs Bescheißen bei mir.

Der Link zur Bewertung geht an Rongli und zack flattert eine Nachricht über einen Zahlungseingang bei PayPal ein. Ich bedanke mich und hörte von Rongli vorerst nichts mehr.

Seit 2017 erlaubt Amazon das Bewerten von Produkten nur noch, wenn man diese auch auf Amazon gekauft hat. Kürzlich führte man noch das Qualitäts-Prädikat „Verifizierter Kauf“ ein.

Dieses Label bekommen nur jene Bewertungen, dessen Produkt zum herkömmlichen Preis gekauft wurde. War das Produkt kurzzeitig heruntergesetzt, wird die Review gelöscht. Außerdem wird geschaut, ob nicht ein extra ausgestellter Rabatt-Coupon genutzt wurde, um die Bewertung positiv zu beeinflussen.

Gute Bewertungen – sehr gutes Ranking – ausgezeichneter Umsatz

Ich schreibe Rongli nochmal. Zögernd bestätigt sie mir meine Vermutungen. Bewertungen direkt kaufen geht nicht mehr. Amazon will die Aussagekraft der Bewertungen bewahren. Mithilfe solcher Facebook-Gruppen aber erhält man mit vergleichbar geringem Geldeinsatz wertvolle „echte“ Bewertungen.

Fakt ist: Hat ein Produkt auf Amazon viele gute Bewertungen, erscheint es auf der Suchergebnis-Seite weit oben. Fakt ist aber auch: Nur jeder Zehnte schreibt überhaupt eine Bewertung, und dann ist sie meist nicht einmal positiv. Ergibt in der Summe: wenige Bewertungen führen zu schlechtem Ranking und schlechtes Ranking heißt keine Verkäufe.

Eine Woche streicht ins Land. Auf einmal fällt mir auf: aus der Facebook-Gruppe „Amazon Produkttester Deutschland“ ist der Name „Amazon“ rausgeflogen. In Foren melden sich die Administratoren der Gruppe zu Wort und begründen die Umbenennung. Es sei eine reine Vorsichtsmaßnahme, heißt es.

In den USA wurden diverse Gruppen jener Art gelöscht. Auch deutsche Seiten wären schon betroffen gewesen. Es wird gemunkelt, dass Amazon an Facebook herangetreten sei. Das Online-Kaufhause ist ein wichtiger Werbekunde von Facebook. Mit Sicherheit bestätigen könne man aber nichts.

Bewertungen eines Produktes
Ein Produkt auf Amazon.de hat fast ausschließlich positive Bewertungen.

Ich schaue also nach einem weiteren Artikel und finde eine Powerbank für Smartphones mit einem Solar-Modul obendrauf. Warum nicht, denke ich mir und kontaktiere die „Verkäuferin“ Fiona R.
Das Vorgehen bleibt gleich, jedoch will sie mir die nötige Bezeichnung für den Artikel nicht schicken.

Ich solle doch bitte erst nach „Powerbank“ suchen und auf ein paar andere Artikel auf Amazon klicken. Im besten Fall füge ich ähnliche Produkte sogar zu meiner Wunschliste hinzu. Erst nachdem ich Fiona versicherte, dass ich dies gemacht habe, erhalte ich die nötigen Begriffe für die Suchanfrage.

Amazon versucht genauer hinzuschauen

Ich hake nach. Sie erklärt mir, dass Amazon aktuell sehr strikt gegen gekaufte Bewertungen vorgeht. Amazon beobachtet sehr genau den Prozess vor dem Kauf. Kauft ein Kunde direkt den ersten Artikel, den er anklickt, und bewertet ihn auch, wird Amazon hellhörig. Gibt’s dann auch noch fünf Sterne, wird Amazon skeptisch. Mögliche Gegenmaßnahmen: Die Bewertung wird gelöscht. Aber auch der Händler kann komplett gesperrt werden.

Die andere Seite der Medaille ist jedoch auch klar: Wollen kleine Händler bei Amazon Geld verdienen, sind sie schon fast gezwungen, auf diese Art zu tricksen. Ohne Bewertungen und ohne starke Marke (oder entsprechendes Marketing-Budget) sind kaum vordere Plätze im Ranking zu erreichen.

Amazon kann man nur bedingt einen Vorwurf machen. Das US-Unternehmen versucht mit umfangreichen Maßnahmen solche Tricks aufzudecken. Doch einen echten Verkauf von einem hinterrücks wieder erstatteten Verkauf zu unterscheiden – da es gibt einfachere Aufgaben.

Inwieweit man jetzt noch den Bewertungen auf Amazon Glauben schenken kann, ist ähnlich schwer zu sagen. Ist ein Produkt durchgängig positiv bewertet und nur ein geringer Anteil bewertet das Produkt komplett gegensätzlich, sollte man eher misstrauisch werden. Am besten zieht man dann alternative Bewertungsportale zu Rat.

Von Adrian Smiatek

Bildnachweis: Von Gruenewiese86 [CC BY-NC 2.0] via flickr

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