Chor? Das ist uncool. Das war auf wohl jeder Schule ungeschriebenes Gesetz. Die US-Komödie Pitch Perfect brachte das Thema auf ein völlig neues Level. Chorgesang gilt seitdem als cool – a cappella sei Dank. Bei dieser Version choraler Musik performt eine Gruppe meist junger Leute Popsongs, begleitet nur von einem Beatboxer, mit Choreographie, tollen Stimmen und vor allem Leidenschaft. Das gibt es nur im Film? Falsch gedacht! Das gibt’s auch in Berlin!
Der Chor betritt die kleine, spärlich beleuchtete Bühne. Vierzig Männer und Frauen, die in gelben, grünen, roten oder blauen Kleidern und Hemden einen starken Kontrast zu dem schwarzen Theatervorhang bilden, vor dem sie sich nun aufstellen. Aber nicht nur die Outfits sind Kontrastprogramm: auch das, was die Gruppe, die sich Klangwerk 306 nennt, nun auf die Bühne bringen wird, steht im Kontrast zu normalem Chorgesang.
Schwungvoll statt steif
Klangwerk 306 gibt es seit 2009. Doch dafür, dass die Berliner Gruppe seitdem bei vielen Auftritten bewies, dass sie besser ist, als die Gewinner mancher Fernsehshow, kennen sie noch relativ wenige Menschen. Dabei treffen Klangwerk 306 den Geschmack einer breiten Zielgruppe: Songs von Justin Timberlake, Peter Fox, Maxim oder Sia stehen bei Klangwerk 306 auf dem Programm. Diese Songs singen sie aber nicht steif in drei Reihen stehend, bekleidet mit schwarz-weißen Anzügen, wie es das Klischee des Chorgesangs vorgibt. Bei Klangwerk 306 wird der Gesang Teil eines ganzen Bühnenprogramms.
Und dieses ist dann tatsächlich so, wie es die Fans von Pitch Perfect kennen und lieben gelernt haben – nur etwas weniger übertrieben. Dafür aber mit echten Emotionen und Liedern, die auch Personen jenseits des Teenie-Alters ansprechen. Das Ganze natürlich – typisch a cappella – rein vokal, also ohne Instrumentalbegleitung. Lediglich ein Piano kommt in einigen Stücken zum Einsatz. Dafür performen die Sängerinnen und Sänger mit ihrem ganzen Körper: es wird getanzt, rhythmisch geklatscht und mit Mimik und Gestik gespielt. Die Zuschauer würden am liebsten mitmachen, doch so ganz traut sich das keiner. Das wiederum ist im Film anders und schöner: hier könnten sich die doch noch etwas steifen Berliner Zuschauer eine Scheibe abschneiden.
Musik mit Aussage
Klangwerk 306 bringen nicht nur Comedy-Elemente auf die Bühne, wie bei ihrer Version von Peter Fox‘ Schwarz zu Blau, bei der kurz mal eine Frau in die Männerrolle schlüpft. Die Sängerinnen und Sänger behandeln in ihren Songs auch ernste Themen wie Krieg, Diskriminierung oder Rassismus. So leitete eine emotional vorgetragene Rede den Schrei nach Liebe von Den Ärzten ein. „An alle Nazis, Faschisten und Rassisten, deren Gewalt nur ein stummer Schrei nach Liebe ist“ richte sich der Song. Gänsehaut verursachte er aber auch beim Rest des Publikums.
Die Bühne macht schön – das fällt hier ganz klar auf, denn der gesamte Chor wirkt dort oben derart überzeugend, dass kein Zuschauer die Augen abwenden kann. Vierzig verschiedene Charaktere, die, einmal mit dem Gesang begonnen, Eins werden. Und die das Publikum nach dem abschließenden „Love Medley“ mit einem verklärten Lächeln angesichts der schönsten und schnulzigsten Liebeslieder, die sich bei diesem letzten Stück vereinten, wieder entlassen. „Ich will auch im Chor singen!“, denkt sich so manch einer. Moment – galt ein Chor nicht eben noch als uncool?
Von Pauline Schnoor
Bildnachweis: Klangwerk 306, Heidi Horstmann