Journalismus: Weitergabe bestehender Routinen oder Disruption in der Ausbidung?

Kill you idols: Warum die heutige Journalistenausbildung in der digitalen Transformation versagt

In Deutschland werden Journalisten meistens on the job ausgebildet. Nach einem beliebigen Studium geht man in ein Volontariat oder auf eine Journalistenschule. Hier erklären verdiente Kollegen dem Nachwuchs, wie man Journalismus macht. Oder besser – wie man ihn früher gemacht hat. Und das ist das Problem: Die berufspraktische Ausbildung verstärkt bestehende Routinen. Was aber in der digitalisierten Gesellschaft gebraucht wird, sind neue, disruptive Ansätze. Auch und gerade im Journalismus.

Von der Erfahrung der Alten profitieren: So funktionieren viele Bereiche der Gesellschaft: Erziehung, Religion, Philosophie, letztlich auch Politik. Doch wir müssen zur Kenntnis nehmen: Die Weitergabe von Erfahrungen (lessons learned) verfestigt bestehende Routinen. Das ist oft sehr gut. Das ist in Zeiten des Umbruchs aber nicht hilfreich. Und die digitale Transformation ist eine dauerhafte Umbruchphase, die noch über Jahrzehnte überraschende Entwicklungen provozieren wird.

Das wissend, muss man in Frage stellen, ob die Weitergabe individuell erworbener Erfahrung in der Ausbildung junger Journalisten sinnvoll ist.

Journalismus ist essenziell für die Demokratie und journalistische Methoden sind mittlerweile im Sinne von Content Marketing Strategien und aktivem Reputationsmanagement ein wichtiger Teil, um die Kommunikation von Organisationen mit ihren Stakeholdern umzusetzen.

Gleichzeitig orientiert sich die journalistische Ausbildung in vielen Bereichen an Kriterien und Rezepten, die in einem ökonomischen, sozialen und technischen Kontext entstanden sind, der obsolet ist.

Die Journalistenausbildung muss sich professionalisieren und dabei den Blick nach vorne richten. Dies gelingt nur, wenn man Journalisten ähnlich wie Ingenieure oder Ärzte ausbildet, nämlich als Anwendungswissenschaftler. Das bedeutet: Die Ausbildung basiert auf Erkenntnissen von Basiswissenschaften. Sie vermittelt nicht nur den state of the art, sondern zeigt auch Perspektiven, was morgen und übermorgen relevant wird.

Journalistenausbildung sollte sich daran orientieren: Wissen vermitteln, wie man Erkenntnisse aus Basiswissenschaften wie Linguistik, Psychologie, Soziologie und Informatik praktisch anwenden kann und welche neuen Möglichkeiten sich daraus ergeben. Die Ausbildung muss weg von den Verlagen und den Rundfunkanstalten. Journalismus als angewandte Wissenschaft verändert die Perspektive um 180 Grad: von retrospektiv zu prospektiv. Journalismus braucht Disruption. Journalismus braucht die kreative Zerstörung. Kill your idols.

Dieser Text entstand im Januar 2016 als Vorüberlegung zu einem Artikel, den Björn Krass (aka Tim Thaler) und ich für einen wissenschaftlichen Sammelband verfasst haben.

(tb)

Bildnachweis: Von Memoriasubterranea [CC BY-SA 4.0] via Wikimedia Commons

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