Haben wir es nicht alle damals als Teenager versucht? Heimlich Trinken mit Freunden am Wochenende. Den Eltern aus dem Keller eine Flasche Wein klauen oder in der Stadt von Späti zu Späti zu gehen, bis irgendwo ein Angestellter nicht nach dem Personalausweis fragt.
Ich erinnere mich genau an mein erstes Mal. Meine beste Freundin Luisa und ich waren zwölf, als wir ihrer großen Schwester eine Flasche Campari und eine Zigarette klauten. Danach warteten wir aufgeregt bis alle schliefen, um nicht erwischt zu werden. Der erste Zug an der Zigarette war widerlich und auch der Campari wollte nicht ganz runter, aber wir kamen uns wahnsinnig erwachsen und cool vor. Das Risiko, dass ihre Mutter uns erwischen könnte, machte das ganze noch viel spannender. Erst am nächsten Tag kam die Angst. Waren wir jetzt etwa süchtig? Würden wir jetzt Kette rauchen? Wie sollten wir das nur verheimlichen können? In mir kam auch noch ein anderes Gefühl zum Vorschein: Reue. So oft hatte meine Mutter mich gewarnt, mir Vorträge über Zigaretten und Alkohol gehalten und mich gebeten, nicht damit anzufangen. Also schwor ich mir, nie wieder zu rauchen oder Alkohol zu trinken.
Die eigenen Grenzen kennen
Ähnlich wie all meine anderen jährlichen Vorsätze, hielt ich auch diesen nicht ein. Mit sechzehn Jahren waren meine frommen Gedanken weg und ich begann wieder, meine Grenzen zu testen. Bis auf ein paar peinliche Ausrutscher, die allesamt mit Hausarrest endeten, bereitete ich meiner Mutter dennoch nie viele Sorgen, da der nötige Respekt vor Alkohol trotz allem vorhanden war. Andere Mütter haben es sicherlich schwerer mit ihren Kindern, da immer mehr Jugendliche verantwortungslos mit ihrem Körper und Alkohol umgehen. Mit den Jahren steigt die Anzahl der Betroffenen. Das statistische Bundesamt veröffentlicht auf ihrer Website erschreckende Zahlen: „Im Jahr 2013 wurden 16.412 Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 17 Jahren aufgrund akuten Alkoholmissbrauchs stationär in einem Krankenhaus behandelt.“ 75 Prozent davon seien minderjährige Mädchen. Allgemein ist die Zahl der behandelten Mädchen seit dem Jahr 2000 um 126 Prozent gestiegen.
Nächste Station: Koma
Alkohol ist in unserer Gesellschaft eine sozial anerkannte Droge. Unsere Familien, Freunde und Bekannten trinken, auch in den Medien sieht man täglich Prominente mit einem Glas in der Hand. Dadurch steigert sich bei vielen Kindern und Jugendlichen die Lust, dazugehören zu wollen. Ein anderes Problem ist der Gruppenzwang, mit dem viele Teenager konfrontiert werden: Um in ihrem Freundeskreis als „cool“ zu gelten, greifen auch sie bewusst zu viel Alkohol. Mehr Alkohol, mehr Anerkennung, ein Ergebnis: Komasaufen. Sie verlieren nicht nur die Kontrolle über den Konsum, sondern auch über sich selbst und ihren Körper. Wir erinnern uns vielleicht alle an den 16-jährigen Jungen, der 2007 mit 4,8 Promille ins Krankenhaus eingeliefert wurde, einen Monat im Koma lag und dann starb.
Trägt jemand die Schuld?
Die Frage, ob nur die Jugendlichen für ihren Alkohol- und Drogenmissbrauch verantwortlich sind, ist schwer zu beantworten. Kann man ihnen allein die Schuld geben, weil sie es besser wissen sollten? Sind die Eltern schuld, weil sie die Verantwortung für ihre Kinder tragen und sie besser aufklären sollten? Oder kann man die Medien zur Rechenschaft ziehen, die betrunkene Prominente zeigen, ohne auf die Risiken einzugehen? Auch Heike Krause, Mitarbeiterin des Berliner Notdienstes, weiß, dass es auf diese Frage keine seriösen Antworten gibt: „Für den Missbrauch von Alkohol gibt es immer viele verschiedene Faktoren. Jugendliche können aus dem besten Elternhaus stammen und durch Liebeskummer oder ihren Freundeskreis ihre Grenzen überschreiten und sich ins Koma trinken. Genauso gibt es Kinder, die aus Alkoholikerfamilien kommen und keinen Tropfen trinken.“ Die Schuld bei jemandem zu suchen, sei äußerst schwierig.
Bestimmt gehört es zum Erwachsenwerden dazu, heimlich oder unter Aufsicht Alkohol auszuprobieren. Aber Kinder und Jugendliche sollten sich genau überlegen, ob sie es wirklich nötig haben, sich in der Gruppe zu beweisen, indem sie sich betrinken. Denn ist es wirklich cool, besinnungslos über dem Klo zu hängen oder im Krankenhaus aufzuwachen? Es gibt auch sicherlich keine lustigen Geschichten, die man nach so einem Abend erzählen könnte, wenn man sich sowieso an nichts erinnert.
Von Linn Rietze
Bildnachweis: By Jakob Montrasio from Saarbrücken, Germany (Cheers!) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons