Ich bin vor kurzem in eine WG gezogen. Wir sind vier ambitionierte, junge Erwachsene voller Hoffnung und Träume. Ganz harmonisch leben wir in einer schicken Altbauwohnung mit stuckverzierten Decken und wunderschönem Parkettboden – wie eine kleine, verplante Familie. Doch etwas stand zwischen uns und einem Leben in verständnisvoller Ausgeglichenheit: ein Berg von Pfandflaschen.
Nach einer ausschweifenden WG-Party vor einigen Wochen, war ein Berg von leeren Bierflaschen stehen geblieben. Und mit Berg meine ich auch einen Berg. Die Flaschen standen überall herum. In der Küche, in der Abstellkammer, auf dem Balkon. Einfach überall. Wo man sich auch befand, man fand Pfand.
Es waren zu viele Flaschen, um sie zurück zum Supermarkt zu tragen. Es waren zu wenige, um daraus eine neue Wohnung zu bauen und einfach darin zu leben. Also koexistierten wir mit den Flaschen. Wir lebten an ihnen vorbei und mit ihnen zusammen. Welche Wahl hatten wir? Keine. Niemand hatte eine Lösung für das Problem. An zahlreichen Abenden saßen wir gemeinsam am Esstisch und redeten um den heißen Pfand herum. Wir waren planlos, ahnungslos, ideenlos. Wie werden wir den Pfand los?
Es nahm kein Ende. Ständig kamen Freunde und brachten neue Flaschen mit, das Problem war nicht nur da. Es wuchs. Am schlimmsten war es auf dem Balkon. Das Leergut dort aufzubewahren, gab uns das Gefühl, es von uns abspalten zu können. Draußen ist schließlich nicht drinnen, so unsere Logik. Das führte allerdings dazu, dass unsere Nachbarn jenseits des Innenhofes täglich unsere Misere betrachten mussten.
Um der allgewärtigen Ohnmacht angesichts der pfandgepflasterten Räumlichkeiten für einen Moment zu entfliehen, traf ich mich eines Sonntagnachmittags mit einer Freundin auf einen Kaffee. Kaffee, kein Bier. Bloß nicht noch mehr Pfand. Wir redeten über Studiengebühren, das Wetter und warum es eigentlich so viele Tauben in der Stadt gibt. Ich konnte meine Gedanken für einen Moment schweifen lassen, aber die Erinnerung an unsere vor Leergut klirrende Wohnung holte mich schnell ein und ich erzählte von der Situation. „Es gibt da eine Seite, pfandgeben.de, da bekommst du Nummern von Leuten, die Pfand sammeln und die holen das dann bei dir ab“, war der Ratschlag meiner Freundin. Mir fiel ein Kronkorken vom Herzen, aber konnte es so einfach sein? Durfte es so einfach sein? War es möglich, dass ich einfach jemanden anrufen konnte und der löst all meine Probleme?
Zurück Zuhause erzählte ich meinen Mitbewohnern von pfandgeben.de und gemeinsam suchten wir auf der Seite eine Nummer heraus, die wir direkt anriefen. Am anderen Ende der Leitung meldete sich unser Retter und schlug vor, direkt vorbeizukommen, um alles abzuholen. Es waren sieben blaue Säcke und eine Kiste Bier, die wir mit unserem Pfandhelden die Treppe hinunter und zu seinem Auto trugen. Wir waren frei. Frei wie Dobby, als er von Harry Potter die Socke geschenkt bekam. Kein Pfand bestimmte mehr, ob ich meinen Balkon betreten konnte oder nicht. Zwar wissen wir noch nicht, was wir mit den 40qm zusätzlicher Wohnfläche anstellen wollen, aber wie sagt man so schön Leergut – alles gut.
Von: Julia Lehrter
Foto: Adam Wilson und CC0 via unsplash.com