Mode aus recycelten Stoffen ist auf dem Durchmarsch. Junge Upcycling-Designer sagen den Billigmodeketten den Kampf an – mit Kleidung aus Stoffen, die eigentlich auf dem Müll landen sollten. In Zeiten von Überproduktion und Verschwendung setzen sie ein Statement für Nachhaltigkeit.
Berlin, Alexanderplatz. Es ist ein typischer Samstagnachmittag. Touristen aus aller Welt tummeln sich zwischen Geschäften und Wurstverkäufern, Kindergeschrei und Stimmen in allen Sprachen vermischen sich mit dem lauten Rattern der Tram, hier und da ertönen die Melodien der Straßenmusiker.
Seit Kurzem aber ebenfalls typisch am Alexanderplatz: die riesigen, braunen Papiertüten, die man überall sieht und ohne die kaum ein Tourist den Alexanderplatz verlässt. Bekommen kann man sie bei Primark, dem irischen Billigmode-Riesen, der jetzt auch eine Filiale mitten auf dem Alex eröffnet hat. Eine geradezu magische Anziehungskraft für die Kauflustigen jeden Alters scheint davon auszugehen. Als wäre es die Pforte zum Paradies, strömen täglich tausende Menschen in den 5.000 Quadratmeter großen Laden. Drinnen gibt es Jeans, T-Shirts, Schuhe und Accessoires im Überfluss, stets die neusten Trends natürlich und alles schön billig.
Das ist der Traum für modebegeisterte Teenies und Schnäppchenjäger – aber der Alptraum für alle, die auch nur ein klein wenig weiter denken als daran, ob die neue Bluse für drei Euro auch den gerade total angesagten Blauton hat. Derart niedrige Preise stehen nämlich meist auch für geringe Qualität. Nicht selten landen die neuen Klamotten deshalb bereits nach einem Mal Tragen in der Tonne. Und auch die großen Modeketten selbst entsorgen täglich Massen an ungetragenen Anziehsachen, damit in den Regalen Platz für neue Shirts und Kleider ist. Das ist nicht nur Geldverschwendung – auch bei der Produktion der Textilien fallen riesige, unnötige Mengen an Wasser und Kohlendioxid an, von den Arbeitsbedingungen in den Produktionsstätten ganz zu schweigen.
Upcycling, oder einfach: Aus Alt mach Neu
Dass diese Verschwendung so nicht weitergehen kann, dachte sich auch Jonathan Leupert, als er vor fünf Jahren mit Freunden das Upcycling-Label „aluc“ gründete. Upcycling – ein gar nicht mehr so neuer Begriff, der den meisten Menschen wohl trotzdem unbekannt sein wird. Einfach ausgedrückt bedeutet Upcycling „aus Alt mach Neu“. Aus Dingen, die normalerweise auf dem Müll landen würden, entstehen mit grenzenloser Kreativität neue Produkte.
Upcycling-Künstler verstehen es, aus den banalsten Mitteln noch etwas Schönes oder Zweckmäßiges zu schaffen. Nach dem Motto „zum Wegwerfen zu schade“ wird so etwa aus benutzten Nespressokapseln bunt schillernder Schmuck, aus ausrangierten Armeezelten werden robuste Winterparkas, aus alten Socken wärmende Pullover. Der studierte Betriebswirt Jonathan Leupert entdeckt den Trend vor Jahren in London. Dort arbeitet er bei „from somewhere“, einem Unternehmen, das damals bereits „upgecycelte“ Mode anbietet. Die Idee gefällt dem damals 25-jährigen so gut, dass er sie auch nach Deutschland bringen möchte.
Das Besondere an seinem Label aluc, das er 2010 gründet: „Unsere Hemden und Kleider bestehen hauptsächlich aus Stoffresten von großen Modefirmen. Diese würden die Reste, die bei der Produktion anfallen, sonst schreddern oder verbrennen. Aber wir machen daraus etwas Neues“, erklärt Leupert das Konzept seines Labels. Pre-Consumer nennt man das im Fachjargon. Bei dieser Form des Upcycling werden keine bereits verwendeten Mittel wie z.B. leere Nespressokapseln benutzt, sondern eben Materialien, die den Kunden noch gar nicht erreicht haben. Und nie erreichen würden, wären da nicht kreative Menschen wie Leupert und sein mittlerweile siebenköpfiges Team, die daraus individuelle Hemden kreieren.
Es gibt keinen Müll, nur Rohstoffe
„Müll“ ist für Upcycler übrigens ein Unwort. „Rohstoffe“ nennen sie das, woraus ihre Produkte entstehen. Ein solcher Rohstoff fällt auch in der Arbeitskleidungsindustrie an: „Die Uniformen der Arbeiter in den ganzen großen Firmen dürfen laut Vorschrift nur je 35 Mal gewaschen werden. Danach werden sie weggeworfen. Es ist unglaublich, wie viele Tonnen da jeden Tag anfallen“, so Leupert mit einem Kopfschütteln. Doch ein Upcycling- Unternehmen nahm sich dem Problem an – und fertigt seitdem erfolgreich Männerjacken aus den ausrangierten Arbeitsmonturen.
Ebenfalls verblüffend: die Portemonnaies und Gürtel aus Feuerwehrschläuchen: „Die Schläuche müssen wegen Sicherheitsvorschriften ständig erneuert werden – man kann sich gar nicht vorstellen, wie viele Feuerwehrschläuche da übrig bleiben. Sie wegzuwerfen wäre viel zu schade, das Material ist sehr robust und gerade für Gürtel perfekt“, erklärt Leupert.
Er selbst trägt übrigens Bio- Schuhe, die man sich mit einem Do-it-Yourself-Paket zusammenbasteln kann. „Die sind zwar nachhaltig, aber nicht upgecycelt. Aber meine Jacke war mal ein Blaumann“, schmunzelt Leupert und deutet auf seinen dunkelblauen Parka. Nach Müll sieht der ganz und gar nicht aus. Und das sei auch enorm wichtig, so Leupert: „Grüne Mode wird oft als unmodern abgestempelt. Wir müssen raus aus dieser Grüne-Mode-Glocke. Upcycler sind einfach tolle Designer, die sich einen anderen Rohstoff suchen. Unsere Kunden kaufen die Sachen auch meistens nicht, weil sie grün sind, sondern weil sie das Design überzeugt.“
Kunden bekommen die Upcycling-Labels zur Zeit immer mehr: „Zuletzt ging ja auch ein Ruck durch die Nahrungsmittelindustrie. Jetzt ist die Mode dran“, erklärt Leupert das wachsende Bewusstsein in der Bevölkerung für die Wichtigkeit nachhaltiger Mode. Als er und sein Team aus 22- bis 30-jährigen motivierten Designern mit dem Upcycling anfingen, habe es so etwas in Deutschland noch nicht gegeben.
„Mittlerweile gibt es vier Läden allein in Berlin. Aber auch in München, Frankfurt oder Düsseldorf interessieren sich die Leute für Upcycling“, so Leupert, sichtbar stolz über diese positive Entwicklung, an der er mit seinem Unternehmen sicherlich nicht ganz unbeteiligt war. So organisiert er zum Beispiel auch einen Stammtisch, bei dem sich mittlerweile jeden Monat bis zu siebzig Leute über die neusten Trends des Upcycling austauschen.
Doch obwohl das Interesse an recycelter Mode stetig steigt und das Thema Nachhaltigkeit nicht nur in der Bio-Trendstadt Berlin in aller Munde ist, sei es schwer, sich im Massenmarkt zu behaupten, bedauert Leupert. „Gegen Primark, H&M und Co. können wir uns im Moment nicht durchsetzen, dafür ist unser Kundenstamm noch zu speziell. Es wird noch ein langer Weg, den Massenmarkt zu erreichen – aber wir arbeiten daran. Mehr möchte ich noch nicht verraten“, sagt er mit einem Augenzwinkern.
Was er und sein Team geplant haben, um die upgecycelte Mode massenmarkttauglich zu gestalten und sie vor allem den Liebhabern der Billigmode schmackhaft zu machen, wird sich noch zeigen. Bis dahin werden die Touristen wohl weiterhin mit den den riesigen Primark-Tüten über den Alexanderplatz laufen. Tüten, randvoll mit neuen Kleidungsstücken, die in wenigen Wochen im Mülleimer landen werden. Hellbraune Tüten, die aus Papier sind statt aus Plastik. Der Nachhaltigkeit wegen.
Von Pauline Schnor
Bild: Aluc-Gründer Jonathan Leupert mit Kolleginnen, alle in upgecycelten Hemden