Das Bekenntnis eines Social Media Zombies

Ich lasse mich von Billie Holiday über YouTube berieseln, streame Woody Allens Manhattan bei kinox und zitiere The Smiths via Tinder. WTF! WTF,  müsste man sagen, wenn man einmal wirklich darüber nachdenkt und noch Kürzel wie WTF benutzen würde.

Immer online

Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht denke, dass ich ja doch noch etwas für ein Projekt, an dem ich gerade arbeite, auf Twitter, Instagram, Snapchat oder Facebook teilen könnte. Ich snappe meinen mittelmäßig spannenden Alltag, like alles vom süßen Tiervideo bis zum ironisch lustigen Statement gegen die AfD auf Facebook und kommuniziere Business Pläne neben betrunkenen Sprachnachrichten über Whatsapp. Wenn mir etwas wirklich Lustiges passiert, dann twittere ich das. Treffe ich alte Freunde, wird erstmal ein Foto gemacht, um dieses Treffen  auf Instagram zu dokumentieren. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich nachts in meinem Bett liege und Videos auf YouTube ansehe. Videos von Menschen, die ich nicht kenne, die irgendwelche Produkte auspacken, die mich nicht interessieren. Unpacking-Videos. So ein Quatsch.

I (don’t) LIKE

Tyler Durden formuliert es im Film „Fight Club“ so schön: „We buy things we don’t need with money we don’t have to impress people we don’t like.“ Aber ich, ich weiß nicht einmal ob ich irgendwen beeindrucken will. Ich like und teile und like und teile. Aber warum? Aus einem Mitteilungsbedürfnis heraus? Zur Selbstdarstellung? Weil es einfach jeder so macht?

Und es scheint wirklich (fast) jeder so zu machen. Facebook verzeichnete im letzten Quartal im Schnitt 1,78 Milliarden aktive User monatlich, Instagram wird von rund 500 Millionen Menschen weltweit genutzt. Twitter nutzten Anfang des Jahres 320 Millionen und Snapchat 100 Millionen Menschen weltweit.

Alles für die Selbstdarstellung?

Ein Großteil meines Lebens verschmilzt zu einem undurchsichtigen Glotz, der permanent online und abrufbar ist. Und wahrscheinlich noch viel länger da sein wird, als ich selbst. Irgendwann steht dann RIP auf meiner Facebook Pinnwand (oder wo auch immer die Menschen dann virtuell unterwegs sind), geschrieben von Menschen, die nicht einmal Englisch sprechen. I LIKE. Oder I HERZ… oder was auch immer.

Wir leben in einer Zeit, da ist man selbst die Marke. Es geht um Selbstverwirklichung und dazu zählt auch immer Selbstinszenierung. Das, was früher noch am Stammtisch bei einem Bier statt fand, findet heute über Twitter, Xing, LinkedIn, Facebook und Co statt. Ich kreiere mein perfektes virtuelles Ich. Von der Job- bis zur Partnersuche. Wie oft lag ich schon auf dem Sofa, sah aus, wie drei Tage nicht geduscht, und habe mich selbstbewusst durch Tinder geswiped.

Ruhelos

Ich sitze vor meinem Handy, bin alleine, aber nie privat. Vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Immer irgendwo involviert, wenn auch nur gedanklich. Es klingt so wahnsinnig plakativ, aber ich bekomme den Kopf nicht frei. Ich habe verlernt, Nichts zu tun.

Die positive Nachricht: Das kann man ändern. Und das weiß auch jeder. Die Frage ist nur, ob ich das will. Natürlich weiß ich, dass ich nicht mit dem Laptop neben dem Kopfkissen ins Bett gehen soll, dass die Welt nicht untergeht, wenn ich mein Handy mal nicht mitnehme, wenn ich nur kurz eine Besorgung mache und ein Snap eines süßen Hundes mein Leben nicht verändern wird.

Ich habe mir jetzt eine Meditationsapp auf mein Handy geladen. So eine Ironie. Aber vielleicht ist das einfach die Zeit, in der wir leben. Oder die Ausrede eines Social Media Zombies.

Von Kim von Ciriacy

Bildnachweis: Kevin Phillips unter CC0

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