Chaostheorie: Warum es so erfolgreich ist, sich nicht zu entscheiden

Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Mexiko einen Tornado in  Brasilien auslösen? Ist alles was uns umgibt nichts als ein großes unberechenbares Chaos? Tun wir Menschen am besten daran, uns für Nichts und Niemanden zu entscheiden? Und was hat das alles mit der Generation Y zu tun? Vier vermeintlich unterschiedliche Fragen. Doch nur auf den ersten Blick. Denn alle drehen sie sich um ein großes Thema: Die Chaostheorie!

Stammvater der modernen Chaostheorie ist der französische Mathematiker Henri Poincaré.  Er beschäftigte sich mit der Himmelsmechanik. Zum Beispiel damit, wie Sonne und Jupiter auf einen einzelnen Asteroiden wirken. Dabei entdeckte er 1903, dass nur minimale Änderungen in den Ausgangsbedingungen zu großen Änderungen der Endbedingungen führen können. Revolutionär für diese Zeit, denn damals glaubte man noch, dass man alles berechnen und so voraussagen könne.

Was ist Chaos?

Das Wort Chaos stammt aus dem Griechischen und bedeutet eigentlich  „gähnende Leere“. Dies ist der totale Gegensatz dazu, wie wir das Wort Chaos heute gebrauchen. Auch die von Poincaré entwickelte Chaostheorie trägt ihren Namen erst seit rund 40 Jahren und hieß bis dahin „Die Erforschung nicht-linearer Systeme“.  Denn genau das ist die Chaostheorie:  eine Sammlung von mathematischen Formeln, die sich mit  nicht-linearen Systemen befasst. Das Besondere an nicht-linearen Systemen ist, dass sie in keiner Beziehung zueinander stehen. Kennt man ein System, kann man auf diesem also kein Anderes aufbauen oder daraus herleiten. Im Gegensatz zu beispielsweise der Relativitätstheorie  ist die Chaostheorie also nicht einmal eine richtig zu Ende gebrachte Theorie, sondern nur eine Sammlung von Formeln. Das macht sie noch komplizierter und kaum wirklich greifbar.  Soweit mit der Naturwissenschaft.

In der Philosophie verwendete man den Begriff Chaos schon weitaus früher. Bereits vor dreitausend Jahren beschrieb der Epiker Hesiod das Chaos als eine „klaffende, gähnende Leere“, die zu Beginn der Weltentstehung zwischen Himmel und Erde bestand. Aus dieser Leere formte sich laut Hesiod die Welt der Menschen und die der Götter. Der Philosoph Platon wiederum vertrat  300 v. Chr.  den Standpunkt, dass das Chaos eine große Unordnung sei, aus welcher ein Gott die Welt erschuf.  Im Mittelalter glaubte man, dass das Chaos ein Nichts war, in dem die Welt  entstand.

Der Chaos-Begriff wurde also immer wieder anders interpretiert. Doch in einem stimmten alle überein: Das Chaos war der Urzustand. Das, woraus alles entstand. Und vielleicht auch das, wozu alles wieder werden wird, weit nach unserer Zeit.

Ein Schmetterling bestimmt das Wetter

Resultate des Chaos, finden wir überall in unserem alltäglichen Leben. Und auch das Wetter kann durch Chaos bestimmt werden. Dies entdeckte 1963 der amerikanische Meteorologe Edward Lorenz.  Er arbeitete an einem Computer Programm zur Wettervorhersage. Ihm viel auf, dass wenn er nur minimale Änderungen des Luftdrucks am einen Ort der Welt vornahm, es zu großen Temperaturunterschieden an einem anderen Ort kommen konnte. So  kann die winzige Druckschwankung, die durch den Flügelschlag eines Schmetterlings in Mexico entsteht,  einen Tornado in Brasilien auslösen. Diese Erkenntnis nennen die Meteorlogen den Schmetterlingseffekt.

Wo finden wir das Chaos noch?

Dazu gibt es in unserem alltäglichen Leben viele Beispiele. Hier Eines, welches Jeder schon einmal erlebt hat. Wir fahren mit unseren Freunden in den Urlaub. Mit zwei Autos machen wir uns auf den Weg. Die ersten zehn Minuten, fahren wir genau hintereinander, doch dann kommt eine rote Ampel. Das erste Auto schafft es noch, doch wir sitzen im zweiten und müssen warten. Nach drei Minuten setzten wir unseren Weg fort. Bedeutet dies nun, dass wir auch genau drei Minuten später am Urlaubsziel ankommen werden? Nein. Während unsere Freunde zwei Stunden später schon am Strand sitzen, stehen wir in einem langen Stau und kommen erst nachts im Hotel an. Ein perfektes Beispiel für die Chaostheorie und somit auch für eine Sache, die niemand genau so vorhersagen konnte. Denn allein ein Spurwechsel kann einen Stau auslösen, wenn der Fahrer hinter dem Wechselnden  bremsen muss und somit eine Kettenreaktion ins Rollen bringt.

Generation Y und die Chaostheorie

Soviel zu der mathematischen und naturwissenschaftlichen Sichtweise auf die Chaostheorie und den Schmetterlingseffekt. Doch wie sieht es aus, wenn wir das Phänomen Chaos und im Besonderen den Schmetterlingseffekt von einer ganz anderen Sichtweise aus bertachte? Von einer psychologischen, menschlichen Sichtweise. Vielleicht auch etwas philosophisch.

Die Chaostheorie und im Besonderen der Schmetterlingseffekt stehen dafür, dass nur eine kleine Änderung in den Anfangsbedingungen, eine große Änderung im Endergebnis auslösen kann. Und das sicherlich nicht nur auf das Wetter oder einen Stau bezogen. Man kann die Chaostheorie auf unser ganzes Leben anwenden.

Ich komme also nicht umhin mich zu fragen: Ändere ich vielleicht mit einer einzigen Entscheidung den kompletten weiteren Verlauf meines Lebens? Sind es manchmal wirklich nur Sekunden, die unser Leben so drastisch beeinflussen?

In jeder Situation, in der wir uns für die eine Sache entscheiden, entscheiden wir uns gleichzeitig gegen eine Andere. Oder mehrere Andere. Sind Entscheidungen also schlecht, weil wir mit jeder Entscheidung die wir treffen, einen Verlust machen? Einen Verlust, der Sache, für die wir uns eben nicht entscheiden. Wäre es  also im Endeffekt besser, sich für Nichts und Niemanden zu entscheiden?

Ganz so strikt ist dies natürlich nicht möglich. In  vielen alltäglichen Situationen ist es geradezu unmöglich, sich nicht zu entscheiden. Es fängt schon beim aufstehen an. Hier gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder ich stehe auf, oder ich tue es nicht. Dazwischen gibt es nichts. Ich kann zwar nur meinen halben Körper aus dem Bett hängen, aber dies wäre auch eine Form des nicht Aufstehens. Auch kann ich aufstehen und mich nach einer Minute wieder hinlegen. Dann habe ich allerdings sogar zwei Entscheidungen getroffen.

Doch wie sieht es aus, wenn es um andere Themen geht? Die Ausbildung, den Job, den Wohnort und die Liebe beispielsweise. Ist es besser, sich bei diesen Themen nie wirklich festzulegen?

Die Generation Y steht genau dafür. Dafür, keine Verantwortung zu übernehmen, sich eben nie wirklich festzulegen. Machen wir es also genau richtig?

Vielleicht geht es uns ja gar nicht darum, keine Verantwortung zu übernehmen. Könnte es nicht sein, dass mehr dahinter steckt? Dass man sich einfach so viele Optionen wie möglich offen halten will. Eben so wenige Verluste an Möglichkeiten verbuchen möchte, wie es nur geht. Und könnte man genau dieses Vorhaben nicht als besonders weitsichtig und klug betrachten?

Ja, ist die Antwort darauf. Dieses Vorhaben ist durchaus klug. Aber nicht umzusetzen in unserer Welt, wie sie heute besteht. In der Liebe glauben wir an Monogamie. In der Arbeitswelt wünschen sich die Meisten eine feste Anstellung. Unsere komplette Gesellschaft ist darauf ausgelegt, jeden Tag Entscheidungen zu treffen. Und sich somit jeden Tag vor tausend anderen Möglichkeiten zu verschließen.

Trotz allem,  eine Tendenz zur sogenannten Verantwortungslosigkeit besteht. So sind wir heute um Einiges flexibler als vor 50 Jahren. Werte, wie möglichst früh zu heiraten und Kinder zu bekommen, werden immer unwichtiger.

Spannend ist  die Frage, ob sich dieser feste Rahmen noch weiter lösen wird. Wenn wir, die Generation ohne Verantwortung, in ein paar Jahren über die Wege dieser Gesellschaft entscheidet.

Von Kim von Ciriacy

Bildquelle: „MagneticPendulum“ von I, Eclipse.sx. Lizenziert unter CC BY 2.5 über Wikimedia Commons – http://commons.wikimedia.org/wiki/File:MagneticPendulum.jpg#/media/File:MagneticPendulum.jpg

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