„Paris verlängert den Ausnahmezustand auf drei Monate“ lauten die neuesten Schlagzeilen im Terror-Newsticker. Ausnahmezustand ‒ das muss wohl etwas wirklich Schlimmes sein, denken sich die Leser. Aber was genau bedeutet es, wenn ein Land im Ausnahmezustand ist ? Vor allem für die Menschen, die in Paris leben?
Tsunamis, Seuchen, Aufstände, Krieg ‒ Katastrophen aller Art führen immer wieder dazu, dass Länder den sogenannten „Ausnahmezustand“ oder auch „Notstand“, wie er in Deutschland heißt, ausrufen. Voraussetzung für einen solchen Ausruf ist immer eine akute Bedrohung des Staates. Mit Eintritt in den Ausnahmezustand verschafft sich der Staat besondere Rechte, um diese Bedrohung aufzuhalten.
Der elementarste Schritt dabei ist die Aufhebung der Gewaltenteilung. Unter anderem beutetet das, dass der Exekutive eine größere Macht zuteil wird. Polizisten dürfen also stärker eingreifen, auch wenn es sich nur um Verdachtsfälle handelt. Sogar das Militär kann innerhalb des eigenen Landes eingesetzt werden, um die Polizei zu unterstützen. So können Polizei und Militär dann auch Ausgangssperren verhängen, Versammlungen und Demos verbieten und öffentliche Orte wie Kinos oder Stadien schließen. Zudem kann es zu Grenzschließungen oder verstärkten Grenzkontrollen kommen. Die Grundrechte sind im Ausnahmezustand unwichtig ‒ so sind zum Beispiel unangekündigte Hausdurchsuchungen erlaubt und die Pressefreiheit sowie das Postgeheimnis können wegfallen. Dass die französische Polizei den Ausnahmezustand zu nutzen weiß, ist an der aktuellen Nachrichtenlage unschwer erkennbar ‒ zahlreiche Hausdurchsuchungen konnte sie schon durchführen, bei denen wohl auch mutmaßliche Terroristen gefasst wurden.
Ausnahmezustand: mehr als nur Militärpräsenz
Doch nicht nur für die Polizei ändert sich die Lage im Land, alle Franzosen sind davon betroffen. Marga, die als Deutsche in Paris lebt, schildert die Situation als beängstigend. „Schon seit Januar ist hier mehr Militär unterwegs. Männer mit Maschinengewehren, die vor Zeitungsredaktionen, Moscheen und Synagogen stehen oder in den großen U-Bahn Stationen. Ich fühle mich nicht sicherer dadurch. Menschen mit Waffen machen mir Angst“. Die ständige Präsenz des Militärs sei aber schon fast Normalität geworden, so Marga. Dass auch mehr Polizei auf den Straßen zu sehen wäre, kann sie nicht bestätigen. „Das fällt mir nicht direkt auf. Ich habe aber auch drei Jahre in Hamburg auf dem Kiez gewohnt. Dort ist immer sehr viel Polizei unterwegs“.
Der Ausnahmezustand äußert sich im Leben der Betroffenen bei Weitem nicht nur in der Präsenz des Militärs. Vielmehr ist es das alltägliche Leben, das sich im Ausnahmezustand befindet. „In meinem Viertel sind viele Menschen gestorben. In dem Betrieb, in dem ich arbeite sind wir zu viert und alle sind sehr mitgenommen“, sagt Marga. Unmittelbar nach Verhängung des Ausnahmezustandes sei es „komisch leer“ auf den Straßen gewesen. „Irgendwie waren aber trotzdem viele unterwegs. Man hat es aber auch nicht ausgehalten zu Hause“.
Terrornacht 13. November: „Es ist immer noch surreal“
Die Geschehnisse vom Freitag, dem 13.11. hat Marga hautnah miterlebt.
400 Meter entfernt vom Bataclan liegt ihre Wohnung ‒ und 700 Meter von der Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo, das im Januar attackiert wurde. „Es ist jetzt anders als im Januar. Diesmal sind es Anschläge auf Zivilpersonen, Bekannte, Freunde, Bars und Clubs in die ich auch gehe, oder gern gegangen bin“, sagt Marga. Sie hatte sich mit einer Freundin verabredet. Die beiden waren etwas trinken und kochten danach in Margas Wohnung, danach wollten sie ausgehen. „Recht früh kamen dann SMS und Anrufe: Wo seid ihr? Geht nicht raus! Wir haben erstmal Witze darüber gemacht. Bevor wir geschnallt haben, was los war, hatte ich schon den ersten Anruf aus Deutschland. Ich habe dann meinen Vater angerufen, der noch nicht wusste, was los ist, und ihm gesagt, ich bin Zuhause“, beschreibt sie den Beginn der Terrornacht.
„Wir konnten die Explosionen hören. Es war alles sehr surreal ist es auch jetzt noch. Die meisten sind mit einem Schock oder kleineren Blessuren rausgekommen. Es war fürchterlich“. Viele ihrer Freunde und Bekannten hätten die Nacht in von innen verschlossenen Bars und Restaurants verbracht, bis es das Okay der Polizei gab, die Leute nach Hause gehen zu lassen. Taxifahrer und Anwohner mit Autos hätten die Menschen danach umsonst nach Hause gefahren. Bekannte von Marga, darunter ein Familienvater, dessen Frau ein weiteres Kind erwartet, kamen bei den Attentaten ums Leben.
Terroranschlag, Attentat, Ausnahmezustand ‒ Wörter, die die Schlagzeilen der vergangenen Tage ausmachten. Für die Menschen in Paris, wie Marga, nur zwei Flugstunden von Berlin entfernt, sind diese Wörter nicht nur Schlagzeilen, sondern die Realität direkt vor der eigenen Haustür.
Von Pauline Schnor