Es sollte ein informativer Abend über die EU-Wahlergebnisse bei Günther Jauchs Talkshow im Ersten werden. Dieser wurde überschattet von Giovanni di Lorenzos Geständnis, zweimal gewählt zu haben. Zufällig waren Autorinnen von Terminal Y genau in dieser Sendung eingeladen, um einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. So erlebten wir den Alltag und die Auswirkungen des Journalistenlebens hautnah. Ein Bericht über einen spektakulären Abend mit Folgen, die auch Jauch überraschten.
Schöneberg, Gasometer, 20:30: Freundlich wurden wir am Security Check begrüßt und in den Backstage-Bereich gebracht. Man zeigte uns die Redaktion, Maske, Schnitt, Ton und beantwortete uns ehrlich Fragen. Irrelevant in dem Zusammenhang, was uns an diesem Abend noch erwarten würde.
Studio 21:15: Wir sitzen gespannt auf unseren Plätzen, aufgeregt endlich den Meister des gepflegten Polit-Talks im deutschen Fernsehen erleben zu dürfen. Als Gäste empfing Jauch Ex-Finanzminister Peer Steinbrück, seinen Nachfolger Wolfgang Schäuble, Juristin und Schriftstellerin Juli Zeh, sowie den Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Alles namentlich bekannte und meinungsstarke Persönlichkeiten.
Studio 21:45: Trocken beginnt die Talkrunde mit einer Frage über die Beteiligung der Deutschen bei den Wahlen, dies tat zwar nur jeder Zweite, dennoch ist sie höher als in den vorangegangen Abstimmungen. Erschreckend jedoch ist, dass die populistische Partei AfD bei 7% landete, welches der eigentliche Aufhänger dieses Abends werden sollte. Die Betonung liegt auf sollte.
Der doppelte Giovanni
Spannend wird es, als Günther Jauch nach 4 Minuten di Lorenzo fragt, ob er in Deutschland oder Italien gewählt habe. Als di Lorenzo dann erklärt, einmal im italienischen Konsulat und einmal in einer Hamburger Grundschule gewählt zu haben, entgleist nicht nur Jauchs Gesichtsausdruck für einen Moment, Schäuble stößt es offensichtlich auch sauer auf. Als di Lorenzo dann überzeugt darbietet, dass er natürlich zweimal wählen dürfe, da er zwei Pässe besitzt, antwortet Peer Steinbrück nur, dass er gerne vier Pässe hätte, um wählen zu gehen. Schäuble ,,gönnt‘‘ es Giovanni ja, und er freut sich dass er so eifrig sei, aber man müsse da eine Regelung finden. ,,Nur weil ich zwei Wohnsitze in Deutschland habe, kann ich auch nur einmal wählen und nicht zweimal. Das kann ja nicht sein dass die einen mehrfach wählen für dieses europäische Parlament und die anderen nur einmal.‘‘
Genau dieser Moment löste eine riesige Debatte in Deutschland aus und überschattete das eigentlich viel prekärere Thema der Wahlzunahme der anti-europäischen Parteien wie Front National unter Marie le Pen oder UKIP unter Nigel Farage. Di Lorenzo äußerte sich gegenüber der Bild-Zeitung, dass ihm nicht bewusst gewesen sei, dass man bei der Europawahl nicht in zwei Ländern abstimmen dürfe. Hätte er das gewusst, hätte er es nicht getan und natürlich auch nicht in der Sendung von Günther Jauch erzählt. Er betonte, es tue ihm aufrichtig leid. Dennoch kann dieses Handeln unter Paragraf 107a des Strafgesetzbuches fallen und somit drohe ihm sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.
Viel wichtiger für den Abend ist es aber zu betonen, wie sich die Gäste zu dem Thema Anti-Europa-Politik äußerten. Wie zum Beispiel die Schriftstellerin Juli Zeh, der es sehr wichtig war, einen flammenden Appell im Spiegel an die Gesellschaft zu richten, überhaupt zur Wahl zugehen. Da in diesem Jahr eine Besonderheit vorliege, und zwar die Angst vor rechtspopulistischen Parteien, die einziehen könnten. Zwar nicht unbedingt in Deutschland, aber wie in den oben genannten anderen Ländern, da müsse man gegen halten. Und zum Teil hat sich diese Ahnung ja auch bewahrheitet, wie sie sagt.
Rechtspopulismus auf dem Vormarsch
Auch Steinbrück meint, zu den Rechtspopulisten Marie Le Pen (Frankreich), Nigel Farage (Großbritannien) und Geert Wilders (Niederlande), dass es Politiker seien, die er für nicht ungefährlich halte, weil sie versuchen auf komplizierte Fragen sehr einfache, teilweise schrecklich einfache Antworten zu geben und die verfangen, wenn Menschen Ängste haben und um gesellschaftliche Positionen kämpfen. Dann können die mit einfachen Parolen in der Tat einige Stimmen einsammeln, so Steinbrück. Aber er ist davon überzeugt dass die demokratischen Parteien im Europäischen Parlament immer die führende Kraft sein werden.
Juli Zeh sagt, man müsse dieses Problem in einem breiterem Rahmen betrachten. In Europa haben ihrer Meinung nach schon immer Kräfte gewirkt, die die einzelnen Länder auseinander treiben lassen, sodass es eigentlich undenkbar gewesen war etwas Gemeinsames zu erschaffen. Seit einigen Jahrzenten herrscht diese Gemeinschaft, aber das bedeutet nicht, dass die zu Grunde liegenden Ängste nicht mehr vorhanden seien. So meint sie, man müsse das neue Europa immer wieder bewerben, vermitteln und leidenschaftlich vertreten, man kann nicht erwarten dass es von selbst funktioniert. Die Euro-Krise habe dann Ängste freigesetzt, die schon immer zugrunde lagen und dass dies die Legitimation sei, für einige das auszusprechen, was sie vorher gar nicht gewagt hätten, also zum Beispiel raus aus der EU, so die Schriftstellerin.
Auch di Lorenzo teilt diese Meinung, er sagt sogar, dass die Wähler besser als die Parteien im Wahlkampf waren, da er diesen als sehr defensiv wahrnahm. Er spricht von einem fast unverdienten Erfolg der CDU und SPD, dass sie so gut an dem Wahlabend abschnitten.
23:00 Get Together: Nach dieser aufregenden und intensiven Sendung, kamen wir in den Genuss, mit dem Jauch-Team auf die gelungene Sendung anzustoßen. Nicht nur Pizza und Wein waren dort grandios, sondern auch unser Gespräch mit dem Showmaster himself, welcher uns verriet, dass er keine Ahnung von di Lorenzos Wahl-Skandal hatte. Er betonte, dass er an seine Sendung den Anspruch stelle, dem Zuschauer das Gefühl zu vermitteln, etwas schlauer ins Bett zu gehen und nicht eine Lösung für das gegebene Problem zu finden, auch wenn einige das immer meinen. So prophezeite er uns schon am Sonntagabend, dass die Welt sich morgen nur um Giovanni und seine Wahl drehen wird. Damit hatte er Recht wohl eindeutig recht.
Von Lea Bohlmann