Dass Tageszeitungen in einer Krise stecken, ist keine Neuigkeit. Aber Krisen, so die Hoffnung, gehen wieder vorbei und bieten ja immer auch Chancen. Also Augen zu und durch. Schließlich wurden auch schon das Kino, das Radio oder das Buch tot gesagt und erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Dennoch stellt sich für Studierenden in den Fächern Medienmanagement und Journalismus tatsächlich die Frage, ob eine Karriere in einer Tageszeitung eine Karriereoption darstellt.
Die Tageszeitung ist ein altes Medium ohne Zukunft
In verschiedenen Diskussionsrunden innerhalb und außerhalb des Curriculums habe ich diese Frage mit Studierenden besprochen. Daraus ergab sich eine vierteilige Argumentation, die ich in diesem kurzem Beitrag aus dem Jahr 2014 zusammengefasst habe.
Strukturell ist die Situation für Tageszeitungen aus verschiedenen Gründen nicht mit anderen „alten Medien“ wie Büchern, Radio und Kino zu vergleichen. Man kann m.E. mit guten Argumenten begründen, dass es die Tageszeitung – also ein gedrucktes Medium mit tagesaktuellen Nachrichten – bald nicht mehr geben wird.
1. Nachrichten sind öffentlich
Schauen wir uns zunächst den Inhalt einer Tageszeitung an. Er unterscheidet sich wesentlich von den Inhalten, die wir in anderen Mediengattungen kennen: Bücher, Filme, Videospiele und selbst Events wie Sportveranstaltungen oder Musikkonzerte sind Artefakte, also von Menschen gemachte Produkte mit spezifischen Eigenschaften, die das Artefakt vom „natürlichen Lauf der Dinge“ abheben.
Nachrichten dagegen sind Ereignisse. Jedes Ereignis kann zu einer Nachricht werden, wenn das Ereignis öffentlich thematisiert wird. Nachrichten sind im Unterschied zu Artefakten nicht darauf angelegt, selbst als Produkt wahrgenommen zu werden und dadurch einen eigenen Wert zu entwickeln. Dies führt dazu, dass eine Nachricht – wenn überhaupt – nur temporär exklusiv sein kann. Sobald ein Ereignis als Nachricht behandelt wird, ist die Information über dieses Ereignis quasi ein öffentliches Gut.
In diesem Kontext darf es einen nicht wundern, dass es selbst Europas führende Tageszeitung – die BILD – nicht schafft, die Nutzer der digitalen Angebote mit „exklusiven“ Nachrichten an ein kostenpflichtiges Premiumprodukt zu binden, sondern für die Vermarktung der BILD-Plus Angebote eigens für einen nicht näher bezifferten Betrag Übertragungsrechte an der Bundesliga einkaufen musste. Artefakte sind ökonomisch attraktiv, weil ihr Zugang limitiert ist. Nachrichten sind ökonomisch unattraktiv, weil sie per definitionem öffentlich sind.
2. What business are we really in?
Wenn die Nachrichten selbst nicht das Produkt sind, stellt sich die Frage: Was verkauft eine Tageszeitung eigentlich? Schauen wir uns die Wertschöpfungskette einer Tageszeitung an, können wir grob vier Bereiche unterscheiden, die ein Verlag bearbeiten muss, um eine Tageszeitung zu produzieren:
- Man braucht die Inhalte (die in der Regel von außen durch Agenturen, PR-Mitteilungen bzw. Einladungen zu Presseterminen etc. angeliefert werden und dann durch einen Autor – news gatherer – in Form gebracht werden).
- Man muss die Inhalte arrangieren also festlegen, welche Inhalte in welcher Form und mit welcher Priorität veröffentlicht werden (was der Redakteur als news processor übernimmt).
- Man muss das entsprechend arrangierte „Masterprodukt“ vervielfältigen.
- Und man muss die vervielfältigten Exemplare verteilen.
Druck und Verbreitung der Tageszeitung sind sicherlich Aktivitäten, die tatsächlich Zahlungsbereitschaft bei Lesern erzeugen. Wenn man gewöhnt ist, zum Frühstück Zeitung zu lesen, will man eine Zeitung haben, unabhängig von ihrem konkreten Inhalt. Wenn man gewöhnt ist, im Zug eine Zeitung zu lesen, will man eine Zeitung haben – egal was drin steht. Ist das Zeitunglesen derart habitualisiert, ist der Akt des Zeitungslesens wichtig und nicht eine wie auch immer geartete inhaltliche Dimension (gerne auch zur redaktionellen Kompetenz und verlegerischen Leitlinie des Anbieters euphemisiert). Aus dieser Perspektive kann man einfach nachvollziehen, warum Kostensenkung und Gewinnabschöpfung naheliegende Strategieoptionen für Verlagshäuser sind.
Doch alle Beteiligten müssen sich bewusst sein, dass Habitualisierung nur so lange als Verkaufsargument trägt, wie es genügend Menschen gibt, die dieses Verhalten teilen. So wie im Fernsehen die Strukturierung des Tages durch den Programmablauf mehr und mehr wegfällt, weil Zuschauer Inhalte nach Bedarf anschauen, so ändern sich auch die Rituale beim Frühstück, wie man in Hotels beobachten kann. Frühstücksfernsehen und noch mehr mobile Computer – Smartphone, Phablet oder Tablet – lösen hier die Tageszeitung ab. Ähnliches kennen wir von gedruckten Telefonbüchern, deren Relevanz sich zügig gegen Null nähert. Massive Nutzung von nicht gelisteten Mobilfunknummern, das Adressbuch im Telefon und die Internetrecherche haben die Habitualisierung des Blicks in die Gelben Seiten überflüssig gemacht, daran ändern auch die nach wie vor hohen Druckauflagen der Verzeichnismedien nichts.
Meine These: Derzeit trägt die Habitualisierung die noch möglichen Auflagenzahlen, weil es genügend Menschen gibt, die gerne blättern, die sich hinter der Zeitung verstecken oder für die das Zeitunglesen ein lieb gewordenes Ritual ist. Dass jemand sich bewusst aus inhaltlichen Gründen für eine Tageszeitung entscheidet, weil er hier Informationen vom Vortag bekommt, erscheint dagegen wenig plausibel.
Wie also kann eine Tageszeitung heute die Gretchenfrage im Marketing beantworten, nämlich das von Theodore Levitt in seinem wegweisenden Artikel „Marketing Myopia“ aufgeworfene Problem zu bestimmen, in welchem Geschäft man eigentlich unterwegs ist: Die Kunden zahlen heute für eine Tageszeitung, weil sie es gewohnt sind, eine Tageszeitung in den Händen zu halten. Dies ist ein sehr starker Nutzen für die Menschen, die das Lesen einer Tageszeitung fest in ihren Tagesablauf integriert haben. Dies ist ein sehr schwacher Nutzen, um neue Kunden zu gewinnen.
Was passieren kann, wenn der Datenträger bzw. die technologische Infrastruktur, um Inhalte zu transportieren, das einzige Nutzenargument ist, sieht man gut an historischen Beispielen: Von der Nutzung von Steintafeln als Textmedium, der Musikkassette als Audiomedium oder dem VHS-Band als Videomedium.
3. Der Umgang mit Komplexität: Kanonisierung vs Selbstorganisation
Schauen wir nun auf den vierten Block der Wertschöpfungskette, das Arrangement verschiedener Nachrichten zu einem Produkt. Die dargelegte Ausgangsüberlegung noch einmal zusammengefasst: Eine Nachricht ist ein öffentlich behandeltes Ereignis und hat als solches keinen eigenen Wert, sondern erhält diesen Wert nur in der öffentlichen Behandlung – also in der Nutzung der Nachricht als Thema für Anschlusskommunikation z.B. in einem Gespräch oder in einer Replik. Dann entsteht der Wert für den Kunden beim Erwerb einer Tageszeitung im Kern ausschließlich durch die Auswahl, Bewertung (Priorisierung) und Präsentation der Nachrichten. Die Redaktion wählt für den Leser aus, was heute (bzw. eigentlich gestern!) relevant war und gewichtet diese Themen untereinander.
Diese Aufgabe hat durchaus eine Berechtigung, dient sie doch als Filter und lenkt den Blick auf das Wesentliche. Allerdings scheint diese Filterfunktion signifikant an Bedeutung zu verlieren, weil sich die Bedeutung „des Wesentlichen“ ändert. Wesentlich ist für uns das, über das wir mit anderen sprechen können und wollen. Hier spielt sich der entscheidende Wechsel ab und zwar in der Spannung zwischen Inhalt und Infrastruktur
Im 20. Jahrhundert waren Infrastruktur (als z.B. die Nutzung einer Rundfunkfrequenz oder der Betrieb einer Druckerpresse) und Inhalt (die Themen) in einer Hand. Wer Zugriff auf die (limitierte) Infrastruktur hatte, kontrollierte zugleich die Themen, die über die Infrastruktur verbreitet wurden. In der Netzwerkökonomie des 21. Jahrhunderts trennen sich Infrastruktur und Inhalte immer weiter auf. Ereignisse können im Prinzip von jedermann öffentlich zu Nachrichten gemacht werden und finden Eingang in dieselbe leistungsfähige Infrastruktur, wie sie die Nachrichten der professionellen Nachrichtenunternehmen nutzen.
Das führt neben vielen anderen, vielfach beschriebenen Phänomenen auch dazu, dass sich der Umgang mit Komplexität ändert. Eigentlich müsste man unterstellen, dass der Bedarf für Filtersysteme mit der Steigerung des Angebots an Inhalten steigt. Aber das genaue Gegenteil ist der Fall: Je mehr Angebot es gibt, desto schwächer werden die Filtersystem und umso weniger werden sie genutzt.
Als es nur drei Fernsehprogramme gab, wurden Fernsehzeitschriften – die Auflistung des täglichen Programms – groß. Je mehr Programme, desto unübersichtlicher das Listing. Heute empfangen die meisten Haushalte ihr Programm digital und erhalten dabei Zugriff auf eine dreistellige Anzahl von Sendern, plus weiterer VOD-Angebote, Pay-TV etc. Die Folge: TV-Zeitschriften sind wenig hilfreich und immer mehr Zuschauer verlassen sich auf zwei simple Alternative: Zapping und einen On-Screen-EPG, der Informationen zu „now playing“ und „next“ vorhält (entweder im TV oder als Second Screen auf dem Smartphone oder Tablet).
Ein anderes Beispiel: Bei der ersten Verbreitungsphase des World Wide Web in den 1990er Jahren wurden zur Orientierung über das wachsende Angebot Katalogsysteme wie Yahoo groß. Das Web in Rubriken einzuteilen, galt als der große Wurf, Suchmaschinen wie Altavista dagegen spielten sich eher in der Tekkie-Nische ab. Doch je größer das Angebot, umso weniger leistungsfähig die Kataloge. Das war der Start für eine neue Methode, das Web zu nutzen: Man begann zu googlen.
Zapping, Now-Playing Informationen und Googling unterscheiden sich offensichtlich voneinander, sind vom Muster her aber sehr ähnlich: Je mehr Angebot, desto weniger Struktur ist nötig, weil man davon ausgeht, dass die wirklich wichtigen Nachrichten einen ohnehin erreichen. Wie kommt man zu dieser Unterstellung: Weil die Nachrichten Themen der Kommunikation unter Kollegen, in der Familie, zwischen Freunden, im Small Talk mit Zufallsbekanntschaften etc. sind. Je größer das Angebot an Nachrichten, desto unwichtiger ist es, einen festen, quasi amtlichen Kanon an Nachrichten des Tages zu haben.
Dies öffnet direkt die nächste Perspektive: Wie bewertet der Einzelne den Stellenwert einer Nachricht? Durch den Grad der persönlichen Betroffenheit. Dieser unterscheidet sich zwischen den Menschen sehr stark. Wenn es einen Trauerfall in der eigenen Familie gibt, ist man selbst sehr betroffen, die meisten anderen Einwohner Deutschlands aber nicht. Wenn das Unternehmen, für das man arbeitet, insolvent wird, ist man sehr betroffen, die meisten anderen aber nicht. Wenn im Ort, in dem man wohnt, eine schwere Infektionskrankheit umgeht, ist man sehr betroffen, der Rest der Menschheit weniger.
Wie können wir persönliche Betroffenheit messbar oder zumindest transparent machen? Eine Möglichkeit ist es, die Themen zu analysieren, über die Menschen sprechen und das kann man sehr gut in sozialen Netzwerken verfolgen. Es sind ungleich mehr Menschen persönlich vom Schicksal einer kleinen Katze in einem engen Glasbehälter betroffen, als von Entscheidungen des Europarats, die Milliarden kosten und mit einem Federstrich die Weichen für die nächste Generation stellen. Persönliche Betroffenheit äußert sich in der Intensität, mit der man über Nachrichtenthemen mit anderen Menschen kommuniziert.
Wir haben es also mit zwei Phänomenen zu tun, die das über rund hundert Jahre verbreitete Modell der Nachrichtenkanonisierung aushebelt:
- Der geänderte Umgang mit einer gestiegenen Angebotslage: Man lässt sich Informationen nicht filtern, sondern setzt sich den Informationsreizen aus und selektiert sekundenschnell, was für einen persönlich jetzt in der Situation interessant ist.
- Die persönliche Bewertung der Relevanz einer Nachricht wird selbst Bestandteil der Nachricht und dient als Indikation für andere.
Beide Aspekte stehen im kompletten Widerspruch zum Anspruch der Tageszeitung, für ihre Leser die Ereignisse der Welt zu filtern und zu gewichten. Die Tageszeitung verliert aufgrund geänderter Umweltbedingungen das Kernelement ihrer Wertschöpfung. Die Funktion, die Komplexität der Umwelt durch einen Auswahlprozess zu reduzieren, steht im Wiederspruch zu einer zentralen Komponente gesellschaftlicher Entwicklung: dass nämlich Selbstorganisation erfolgreicher im Umgang mit Komplexität ist, als jegliche Organisation von außen.
Dieses Argument steht im engen Kontext zu dem als wisdom of crowds bezeichneten Effekt, dass bei relevanten Entscheidungen über eine unsichere Situation der gemittelte Durchschnitt vieler Einzelurteile zu einem leistungsfähigeren Ergebnis führt als das einzelne Urteil eines Experten. Die Masse ist nicht schlauer als der ausgebildete Redakteur was das einzelne Thema angeht. Die Masse ist aber definitiv schlauer als die geballte Redaktionskompetenz aller Tageszeitungen zusammen was das zentrale Thema angeht, nämlich welche Nachrichten sich eignen, um darüber zu sprechen und dadurch ein beliebiges Ereignis zu einem öffentlich besprochenen Ereignis – einer Nachricht – zu machen.
4. Das Geschäftsmodell der Tageszeitung
Richten wir schließlich den Blick auf die Erlössituation. Ursprünglich war das Geschäftsmodell der Tageszeitung auf den Verkauf des Produkts ausgelegt. Der Vertrieb der Tageszeitung erlöste das Geld, um Profitwunsch der Verleger und Kosten der Produktion zu decken. Je mehr die Tageszeitung ab dem späten 19. Jahrhundert zu einem Massenprodukt wurde, desto attraktiver wurde es für Unternehmen (und auch Privatleute), in Tageszeitungen zu annoncieren. Neben die Vertriebserlöse (die die Tageszeitung bereits finanzierten) traten quasi als windfall profits die Werbeerlöse. Es begann die goldene Ära der Verlage.
Lange galt in Deutschland für Zeitungsmanager die grobe Rechnung: Ein Drittel der Erlöse kommen aus dem Verkauf, zwei Drittel aus der Werbung. Vom so erzielten Umsatz blieb üblicherweise ein zweistelliger Satz– zwischen 15% und 25% sind branchenüblich – als Gewinn im Verlag.
Die Vertriebserlöse sinken parallel zu den fallenden Auflagen der Tageszeitungen, die sich seit dem Höhepunkt 1989 (BRD und DDR zusammen) von 27,3 Millionen Tagesauflage um fast 40% reduziert haben. Schlimmer aber wiegt, dass die Werbeerlöse massiv wegbrechen und sich mittlerweile vielfach von der früheren 2:1-Relation auf ein Fifty-Fifty eingependelt haben und das dürfte mitnichten das Ende der Fahnenstange sein, denn immer noch – so meine These – sind gedruckte Werbeträger deutlich überteuert.
Dazu eine ganz einfache, praktische Rechnung: Schauen wir uns die tägliche Nutzungszeit von Zeitungen an, liegen wir 2013 bei einem durchschnittlichen Wert von 23 Minuten. Elektronische Medien werde deutlich mehr genutzt: Fernsehen gute vier Stunden, Radio 191 Minuten und das Internet 108 Minuten. In anderen Worten: Zeitungen haben einen Anteil am Zeitbudget der Mediennutzung von rund 4%.
Auf der Erlösseite ist dieses Bild auf den Kopf gestellt. Tageszeitungen (inkl. Anzeigenblätter, Wochenzeitungen und Supplements) haben 2013 in Deutschland laut ZAW Nettowerbeeinnahmen von 5,116 Milliarden Euro erlöst und liegen damit nach wie vor an der Spitze der Werbeträger. Sie erzielen über 38% am gesamten Werbekuchen. Und selbst wenn man wirklich nur die ausgewiesenen Tageszeitungen (also ohne Wochenzeitungen und Anzeigenblätter) nimmt, liegt der Umsatzanteil im Werbemarkt in den klassischen Werbeträgern bei 26,45%.
Dieses Verhältnis – 4% der Aufmerksamkeit und weit über 25% der Erlöse – lässt sich faktisch nur mit der Exklusivität der Tageszeitung in der Region erklären. Und der löst sich im Internet durch lokale Suchen und location based services auf. Dass die Tageszeitung heute noch lebt, verdankt sie alleine der Latenz ihrer regionalen Kunden und – bei den wenigen überregionalen Titeln – dem obsoleten Argument, man würde die Tageszeitung deutlich intensiver nutzen als andere Werbeträger und daher hier eine höhere Wirkung erzielen.
Das Umsatz-Zeit-Verhältnis (realisierter Umsatz in Relation zur erreichten Aufmerksamkeit) liegt bei der Tageszeitung bei knapp 10, bei Zeitschriften sogar noch höher. Der Markt bewertet die Zeitung als Werbeträger also zehn Mal so hoch als das Fernsehen oder das Internet. Rational gesehen müsste eine Zeitungsanzeige also einen zehn Mal höheren Ergebnisbeitrag liefern als eine Internetanzeige, wenn identische Budgets eingesetzt werden. Das tut sie natürlich nicht (man könnte mit guten Argumenten sogar erläutern, warum eine Zeitungsanzeige immer schlechtere Ergebnisse liefern müsste als eine Suchmaschinenkampagne oder der Eintrag in spezialisierten Verticals).
Man kann ohne großen Pessimismus erwarten, dass sich die Werbeerlöse der Tageszeitungen in den nächsten Jahren weiter drastisch reduzieren werden. Dies führt mit planbarer Konsequenz zu Kostensenkungen, die im Wesentlichen auf Seiten der Redaktionen erbracht werden müssen, weil Produktion und Distribution auf Stückkostenbasis bei sinkenden Auflagen eher steigen werden. Das führt zu einer reduzierten Qualität des Produkts, was wiederum den Rückgang der Auflagen beschleunigt. Ein klassisches Beispiel für einen vicious circle: einen positiven Feedback-Prozess mit negativen Folgen.
Alle vier Bereiche – die Natur der Nachricht als öffentliches Gut, die Nutzungsmotivation der Kunden auf Basis von Habitualisierung, der Umgang mit gestiegener Komplexität und der dadurch entstehende Bedarf neuer Organisationsformen und das Erlösmodell der Tageszeitung – legen nahe, dass die Tageszeitung tatsächlich vom Markt verschwinden wird – so wie die Musikkassette, die Fotografie auf Filmrolle, das VHS-Videoband oder die Wochenschau im Kino. Tageszeitungen sind anders als Bücher, die sich über Autorenschaft (Artefakte) abgrenzen. Tageszeitungen sind Träger aktueller Nachrichten. Tageszeitungen sind heute aber nicht mehr aktuell und sie sind hinsichtlich der Menge von Nachrichten limitiert. Bücher, auch Zeitschriften, wird es wohl wie Vinyl-Schallplatten und Brettspiele auch in vielen Jahren noch geben. Tageszeitungen sicherlich nicht mehr.
The Dawn of a New Era of Journalism
Damit – ein letzter Satz – ist natürlich nicht gemeint, dass es keinen Bedarf mehr an aktuellen Nachrichten und damit an Journalismus gäbe. Dieser Bedarf dürfte aus oben genannten Gründen sogar deutlich steigen. Doch der Journalismus muss sich hinsichtlich seiner ökonomischen Bedingungen neu erfinden. Und so wie sich die Verlage bisher im Web 1.0 (Verlust der lukrativen Rubrikenmärkte) und Web 2.0 (Verlust der lokalen Alleinstellung durch aktive Einbindung der Leser und Personalisierung) verhalten haben, liegt es nahe, dass diese Schumpetersche Zerstörung der Tageszeitung nicht durch die Tageszeitungsverlage vorangetrieben wird. Wir werden uns in den nächsten Jahren sicherlich von vielen großen Namen der Verlagsbranche verabschieden können.
Wer werden die Gewinner dieser Entwicklung sein? Wie lassen sich neue journalistische Geschäftsmodelle entwickeln? Wie kann man mit Nachrichten auch in Zukunft Geld verdienen? Das sind Fragen, die man – da sie sich auf die Zukunft beziehen – nicht mit Sicherheit oder zumindest einiger Prognosevalidität beantworten kann. Eines jedoch ist klar: Die ökonomischen Herausforderungen lassen sich durch verschärfte Regulierung – Stichtwort: Leistungsschutzrecht für Presseverleger – definitiv weder lösen noch heraus zögern, sondern beschleunigen eher die Abwärtsspirale.
Das Ende der Tageszeitung ist bedauerlich für die Jobs, die dadurch verloren gehen. Das Ende der Tageszeitung ist aber nicht das Ende des Journalismus und schon gar nicht der Untergang des Abendlandes, wie es eifrige Verleger im Berliner und Brüsseler Lobbybetrieb gerne darstellen. Das Ende der Tageszeitung wird wahrscheinlich eher der Beginn einer neuen Ära des Journalismus markieren, der sich besser – in allen Dimensionen dieses Wortes verstanden– auf die Erfordernisse der Zeit einstellt. Die Tageszeitung ist tot, es lebe der Journalismus.