Auf einer Internetseite für lesbische Katholiken in Berlin lernten Cid (36) und Mia (29) sich kennen. Sie tauschten sich über ihre Gefühle zu Gott und Homosexualität aus und fanden so schnell zueinander. Aber wie sind Homosexualität, Religion und Berlin zu vereinen?
Nach langer Suche leben Mia aus der Slowakei und die Spanierin Cid nun zusammen in ihrer ersten gemeinsamen Wohnung in Neukölln. Auf den ersten Blick haben beide nicht viel gemeinsam: Während Mia das Abendessen vorbereitet und dabei die Küche sauber macht, sitzt Cid am Tisch, schneidet alibimäßig etwas Gemüse, raucht eine Zigarette nach der anderen und erzählt von ihrer wilden Jugend. Doch betrachtet man das Paar genauer, sieht man, wie beide zueinander stehen, als sich ihre Blicke zufällig treffen und sie peinlich berührt lächeln. Sie können es selber noch nicht glauben, dass sie nach vielen Jahren in religiösen Umfeldern zum ersten Mal eine lesbische Beziehung eingehen können, ohne sich verstecken zu müssen.
Religion trifft Homosexualität
Mia zog vor zwei Jahren nach Deutschland, um einen Laden zu eröffnen. Die Musikerin Cid kam letzten Sommer wegen der spanischen Wirtschaftskrise. Doch nicht nur die Arbeit brachte sie in die Hauptstadt. Cid war sich bewusst, hier größere Möglichkeiten zu haben, eine passende Frau für sich zu finden, ohne sich verstecken zu müssen. Mia wollte hier ein neues Leben für sich starten: „Eigentlich wollte ich in Keuschheit leben. Aber dann habe ich die Internetseite mit den katholischen Homosexuellen in Berlin gefunden. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich schwule und lesbische Paare in der Öffentlichkeit gesehen, die sich nicht verstecken mussten, weil die Gesellschaft sie verachtet.“
Glaubt man den Meinungen, so ist Berlin eine multikulturelle Stadt, die sich aus vielen Religionen und Gesinnungen zusammensetzt. Durch seine Größe genießen die Menschen eine Anonymität, die es ihnen erlaubt, so zu sein, wie sie wollen, ohne dafür verurteilt werden zu müssen.
„Die katholische Kirche ist nicht meine Religion”
Mia und Cid kommen aus zwei katholischen Ländern und sind beide sehr religiös. Aber einen Interessenskonflikt zwischen ihrer Religion und Homosexualität sehen sie nicht. Beide halten sich stark an die zehn Gebote, da sie die Menschen lehren, wie man lieben und vergeben kann. „Dies sind viel größere Sachen als zu urteilen, mit wem ich ins Bett darf und mit wem nicht“, sind sich beide einig. „Das größte Problem ist doch, verliebten Menschen, die in einer ernsthaften Beziehung sind, zu sagen, dass sie weniger wert sind. Wenn sie katholische Kirche so etwas behauptet, bedeutet das entweder, dass Gott bei der Schaffung der Menschen komplett versagt hat, es ihn nicht gibt oder er diese Menschen hasst“, findet Cid. „Jesus verurteilt Heuchelei, Unzucht und Ehebruch. Nirgendwo steht jedoch geschrieben, dass es keine Schwule und Lesben geben darf. Und die hat es schon immer gegeben.”
Sozialer Druck für die Familie
Als Tochter eines erfolgreichen spanischen Diplomaten, bestand Cids Umfeld aus Privilegierten, wie Botschaftern und deren Kindern oder Politikern, zuhause war sie von Haushältern umgeben. „Allen musste ich irgendwie imponieren, um meinem Vater seine Arbeit in der Botschaft zu erleichtern. Meine Eltern waren stolz, eine Tochter zu haben, die irgendwann mal einen Herzog oder wenigstens einen Grafen heiraten würde“, erzählt Cid kopfschüttelnd. „In diesem Umfeld konnte ich nie ich selbst sein.“
Mia wuchs als hübsches Mädchen in der Slowakei auf, ein Land, in dem nicht offen über Homosexualität gesprochen wird. Als Teenager führte sie ausschließlich heterosexuelle Beziehungen. „Ich mochte Männer, aber die Gefühle waren nie sexuell.“ Etwas hielt sie davon ab. Seit sie zwölf war schwankten ihre Gefühle zwischen Mädchen und Jungen hin und her, „aber bei Frauen war es anders. Dieses Gefühl war viel natürlicher und stärker, wie bei einem Magnet.“ Wahrscheinlich sei sie bisexuell, überlegt Mia.
Outing und Homophobie
Ihr Outing war eine schwere Zeit für beide, nachdem sie so viele Jahre versteckt gelebt hatten. Die Musikerin Cid outete sich im Alter von 22 Jahren. „Da waren alle möglichen Reaktionen dabei, manche waren überrascht, andere konnten es nicht glauben.“ Ihre Eltern versuchen jetzt wenigstens, es zu akzeptieren. Bei Mia war es schwerer. Sie litt unter der Geheimnistuerei und wollte keine Lüge mehr leben. „Es ist vergleichbar mit einem Krebs, der durch deinen Körper und deinen Alltag geht, dich emotional isoliert und langsam umbringt.“ Doch schnell wurde ihr bewusst, dass sie sich mit dem Outing in ihrem Heimatland keinen großen Gefallen tat. Sie verlor gute Freunde und auch ihrer Mutter fiel es sehr schwer zu akzeptieren, dass ihre Tochter lesbisch sei.
Homophobie erlebt das junge Paar in ihrem familiären Umfeld häufiger. Zwar nie auf eine aggressive, aber auf eine manipulative Art und Weise. „Oft versuchen unsere Familie, ihre Angst vor dem sozialen Druck oder der „öffentlichen Meinung“ zu Homosexualität zu übertragen“, sagt Mia.
Mittlerweile diskutieren Mia und Cid zwar noch mit anderen Menschen über ihre Religion, die sie niemals aufgeben würden, aber angreifen lassen sie sich nicht mehr. Beide sind mit sich selbst im Reinen, ihr innerer Prozess ist vorüber und sie können endlich offen über ihre Gefühle reden. „Nach unserem Outing, mussten wir uns viele verschiedene Meinungen dazu anhören. Aber jetzt können wir wieder aufatmen.“
Von Linn Rietze