„Ich habe die Nase voll. Von allem. Am liebsten würde ich einfach abhauen!“ Es bedarf Einiges, um das zu sagen. Bei meinem Bruder (27) war es das Aus seiner elfjährigen Beziehung. Seine jetzt Ex-Freundin hatte ihn betrogen. Was hilft gegen diese Art von Schmerz? Abhauen. Raus aus allem. Einfach weg.
Aber nicht alleine. Deshalb habe ich gleich gesagt: Ich bin dabei! Wohin die Reise ging? Nach Norden. Wir wollten was Neues sehen. Nicht mal eine Stunde später waren die Fährkarten gebucht. Mehr Planung brauchte es nicht. Der Kofferraum unseres VW Kombis wurde mit dem Nötigsten vollgestopft: Schlafsack, Rucksack, Bier.
Um 23:45 hieß es: Ab auf die Fähre. Vier lange Stunden dauerte die Überfahrt. Nachts um vier waren wir da. In Schweden. Ohne jede Ahnung, wie es weitergehen sollte. Zu müde zum Denken, haben wir am Straßenrand geparkt und erstmal gepennt.
Es wurde hell und unser Auto sorgte für Aufmerksamkeit. Wie kommt es auch rüber, wenn ein Auto am Straßenrand steht und die Scheiben von Innen total beschlagen sind? Das weckte die Neugier eines vorbeilaufenden Joggers. Er starrte von außen ins Auto. Als ich langsam wach wurde und ihn sah, erschreckte ich mich. Durchs Spannen wurde ich noch nie geweckt. War nicht die beste Erfahrung, aber immerhin eine Neue.
Das bewies: Adrenalin wirkt besser als Kaffee, um wachzuwerden. Der Hunger meldete sich und wir fuhren in einen Ort namens Ystad. Dort blechten wir für einen Kaffee, eine heiße Schokolade und ein belegtes Brötchen satte 15€.
Weiter ging‘s durch die Prärie Schwedens nach Malmö. In Västra Ingelstad hatten wir auf einem Bauernhof was zum Schlafen gefunden. Für einen lauen Preis bekamen wir ein Apartment und haufenweise Insidertipps. Darauf wurde erstmal angestoßen. Unsere ältere Gastgeberin schaute nicht schlecht, als wir den Kasten Bier aufs Zimmer schleppten. Mein Bruder musste nun mal irgendwie seinen Kummer betäuben. Abends ging es zur Futtersuche nach Malmö.
Dort stießen wir auf ein Problem. Was sind zwei Deutsche ohne Kreditkarte in Schweden? Richtig. Aufgeschmissen! Nicht mal den Parkscheinautomaten konnten wir mit Münzen zahlen. Für die Aktion haben wir uns gefeiert. So stand unser Auto nicht auf dem Parkplatz, sondern in einer dunklen, abgelegenen Seitenstraße. Wir mussten schließlich kreativ werden.
Die Deutschen am Strand
Dienstagmorgen. Geschlafen wie ein Engel auf Wolken. Nach nur einer Nacht im Auto lernten wir unsere Betten sehr wertzuschätzen. Mein Bruder sah jedoch traurig aus. Also griff ich in den Kasten und schwenkte ihm eine Flasche unseres flüssigen Glücks rüber. So schnell habe ich ihn noch nie lächeln gesehen. Außerdem schien die Sonne, und da bläst keiner Trübsal!
Unsere Gastmutti hatte von Skanör geschwärmt und wie schön der Strand dort sei. Bei dem Wort Strand war der Tag schon geplant. Dort gönnten wir uns jeder ein Schnitzel mit Beilage für schlappe 40€. Immerhin war der Blick auf die Ostsee umsonst. Schnell holten wir unsere schwarz-rot-gold farbigen Campingstühle und besetzten ein Teil des Strandes. „Die Deutschen sind wieder da“ dachten wir uns. Mit Bier in der Hand und die Plautze Richtung Sonne lagen wir den ganzen Tag am Strand. Das Resultat war Sonnenbrand.
Kopenhagen für 24 Stunden
Am nächsten Morgen verließen wir unsere kleine schwedische Residenz. Dänemark rief nach uns. Aufgeregt wie kleine Kinder fuhren wir über die riesige Öresundbrücke. Hier schien die Welt wieder normal. Denn die Parkautomaten gaben sich endlich mit Münzgeld zufrieden.
Dafür wollte uns niemand in Kopenhagen bei sich schlafen lassen. Selbst die billigste Motel-Absteige war sich anscheinend zu fein für uns. Nach der siebten Absage sehnten wir uns nach unserem schwedischen Bauernhof. Wir hätten die ganze Woche dort verbringen sollen. Aber für 200€ gewährte man uns ein Bett in einem Hotel. Ab da war klar: Hier hält uns nichts!
Darauf brauchten wir ein Bier zum Abreagieren. Zum Glück war ein Jahresvorrat im Kofferraum gebunkert. Den brauchten wir auch. Das nächste Highlight ließ nicht lange auf sich warten. Mit vollem Bass und deutscher Kiez-Musik heizten wir durch Kopenhagen. Die Blicke der Menschen waren unbezahlbar. Genauso wie unser nächstes „Festmahl“. Für ein angebliches Steak mit Pommes zahlten wir umgerechnet 80€. Schmeckte nach dänischer Schuhsohle. Braucht man nicht.
Tut gut, wieder hier zu sein
Zum Frühstück wurde angestoßen. Darauf, dass wir die Tage bis hierhin überlebt hatten. Das Bier spendete uns alle wichtigen Nährstoffe, die wir für den Heimweg brauchten. Ohne Zwischenstopp ging‘s durch die dänische Prärie zur deutschen Grenze. Erster Halt in Deutschland: Flensburg. Wir wollten nicht unsere Punkte zählen gehen, sondern wieder was Leckeres zwischen den Kiefer bekommen. Dabei erzählte mir mein Bruder, er war noch nie in Hamburg. Bei dem Satz stockte mir das Essen im Hals. Wie kann das sein? Einmal Reeperbahn, das muss sein.
Zwanzig Minuten später war eine Unterkunft in Hamburg organisiert. Früh in Kopenhagen aufgewacht, waren wir abends auf der Reeperbahn unterwegs. Kaum zehn Meter gelaufen, wurden wir schon nach einem Dreier gefragt. Willkommen in Hamburg. Bei einem kühlen Astra in einer Kneipe werteten wir unseren kleinen Roadtrip aus. Am Anfang war mein Bruder noch ziemlich angeschlagen wegen seiner Freundin. In der Kneipe grinste er nur noch. Ich fragte warum. Bei seiner Antwort heulte ich vor Lachen. Unsere Reise, alles Bier und Benzin, das Schuhsohlensteak – alles ging auf Kosten seiner Ex. So macht Trennung Spaß!
Von Tim Scharmacher