Dass der Partnertausch die Beziehungsform der Zukunft sei, auf den Gedanken war Laura selbst gar nicht gekommen. Es war ihr Freund Daniel, der es bei einem Treffen mit einem Pärchen das erste Mal angesprochen hatte. Für ihn stand fest, dass die Menschen nur erst die Fesseln der Kultur, Tradition und Religion sprengen mussten, dann würden sie auch erkennen, dass die Liebe zu einer Person, aber der Sex mit vielen glücklicher macht als Monogamie. Laura, die ihm einst zugestimmt hätte, sah heute auch die perverse Selbstzerstörung, die hinter dieser Überzeugung stecken konnte.
Als alles begann, war Laura wunschlos glücklich. An vielen Tagen, wenn sie sich eine Pause von ihrer Arbeit nehmen konnte, ging sie zum Friseur, zum Brunch in ein neues Restaurant oder schlenderte Einkaufspassagen entlang und dachte innig über das Glück nach, das ihr zuteil wurde. Gerade erst in die Zwanziger gekommen, hatte sie schon den Mann gefunden, mit dem sie später auch ihre Kinder haben würde, dessen war sie sich sicher. „Daniel war einer von denen“, und ihre Augen leuchteten, wenn sie von ihm sprach, „die wussten was sie wollten.“
Daniel hatte nicht nur die gleichen Träume wie Laura, er wollte Laura, gleich vom ersten Tag an. Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte er zu ihr gesagt, „Lass uns eine Beziehung führen“ und in diesem einen Moment, wo diese Worte aus ihm kamen, vielleicht acht Stunden, nachdem sie sich kennengelernt hatten, da wusste sie, dass er der Richtige war und dass sie es auch wollte. Sie fühlte seine Liebe nicht nur, sie konnte sie sehen. Sie zeigte sich darin, dass er vom ersten Augenblick ihres gemeinsamen Weges an bereit war, alles mit ihr zu teilen, wirklich alles. „Niemand, der Angst hat, seine Unabhängigkeit zu verlieren“, was sie nie verstanden hatte, bei anderen Paaren. „Wenn man liebt, möchte man den anderen Menschen doch glücklich machen.“
Für Laura widersprach es dem Gedanken der Liebe, dem Partner etwas vor zu enthalten, was man ihm problemlos geben konnte. Im Gegenteil, das war Egoismus. Dabei dachte sie an die Männer, von denen ihr ihre Freundinnen berichteten. Die, die noch nicht vergeben waren, sondern noch suchten und das immer öfter über Dating Portale. Und die sich mit Männern verabredeten, die davon sprachen, aus ihrem Leben etwas machen zu wollen, zu Geld kommen zu wollen, oder es bereits geschafft zu haben. Die auf der anderen Seite aber nicht bereit waren, der Frau, die sie um ein Date gebeten hatten, auch nur einen Drink zu spendieren.
„Niemand soll sich aus den Rippen ziehen, was er nicht hat. Aber wenn ich die Möglichkeit habe und einem Menschen gegenüber sitze, der mir etwas bedeutet, mich interessiert oder mir bald etwas bedeuten könnte, warum dann dieser Geiz?“ Mit solchen Männern hatte Laura sich nie getroffen. Noch nie hatte bei einem Date einer von ihr verlangt zu zahlen. Erst recht nicht Daniel, der sich selbst mit Freunden um die Rechnung stritt, weil er so aufgewachsen war, dass ein Gentleman das Portemonnaie zückt.
Was andere Männer, gerade die jungen dazu dachten, konnte Laura sich vorstellen. Schließlich gab es genug im Internet zu diesem Thema zu betrachten. Bilder auf denen eine Hand mit viel Geld und eine mit gar keinem zu sehen war und unter denen Sätze standen wie: Mein Leben als Single und mein Leben mit Freundin. Leid tat ihr das aber vor allem für ihre Freundinnen. Manchmal sagten sie ihr Sätze wie: „Ich wünschte, ich hätte auch so jemanden wie Daniel“ und da wusste sie, dass sie noch dankbarer sein konnte ihn zu haben.
Sie fühlte sich oft, als hätten sie und Daniel den Teil des Verliebtseins einfach übersprungen, als seien sie direkt über die erste Etappe hinaus und zur Liebe gestürmt. Vielleicht war deshalb alles so schnell gegangen. Ihr erstes Mal hatte Laura gehabt, da war sie 19 gewesen. Sie war für viele eine Spätzünderin, obwohl diese Information fast niemand von ihr wusste. Noch weniger, in welche Abenteuer sie sich gestürzt hatte, nachdem sie erst einmal begonnen hatte. Safer Sex hatte nie zur Debatte gestanden, „aber ansonsten habe ich wirklich verrückte Sachen gemacht und heute schaudert es mir, wie gefährlich manches davon war“.
Als sie Daniel kennen lernte, war diese Phase im vollen Gange. Er selbst war Einer von Zweien in einem Dreier mit ihr; wer das wüsste, würde wohl eher nicht damit rechnen, dass daraus fünf Jahre Beziehung werden konnten. Ihre Harmonie beim Sex beflügelte sie. Bestimmt war es bei anderen frisch Zusammengekommenen nicht anders, vermutete sie, aber Laura hatte solch eine Übereinkunft erst zwei Mal erlebt und dieses Mal verspürte sie auch noch eine überwältigende Liebe dazu. Dies musste das perfekte Beziehungsleben sein, so wie es sonst nur fiktive Film- und Romanfiguren erlebten.
Und weil es so perfekt war, gab es keinen Moment des Zweifels gegenüber dem, womit sie schon wenig später begannen. Was das war, erfuhren in den späteren Jahren nur wenige ihrer Freunde, aus ihrer Familie erzählten sie es niemandem. Es war etwas, das Laura und Daniel nicht mit stolzer Brust vor sich hertrugen, sondern bei dem sie vorsichtig abwiegelten, ob die anderen überhaupt bereit waren für so eine Information. Sie glaubte, dass es etwas war, was die anderen auch gar nichts anging. Aber dann dachte sie wieder daran, wie oft sie mit ihren Freunden über Sex sprach. Und das war schließlich ein Teil ihrer Sexualität.
Drei Monate waren sie zusammen, als Laura spät abends mit Daniel zusammensaß und beide überlegten, was sich mit diesem Freitagabend noch anfangen ließe. Irgendwann war Laura auf eine Idee gekommen, woher dieser Gedanke so plötzlich gekommen war, weiß sie heute nicht mehr. Sie hatte vor Daniel gesessen, beide konnten ihre Hände nicht voneinander lassen. In dieser Phase war alles noch ein einziger großer Flirt gewesen, dort war diese ständige Glückseligkeit der Liebe, die ihre Gefühle ständig pushte und oben hielt. Als wäre es so üblich wie trinken oder tanzen gehen, hatte Laura ihm vorgeschlagen einen Swingerclub zu besuchen, für beide war es das erste Mal. Sie wussten nichts von Dresscodes und Eintrittspreisen, nichts von Herrenüberschuss und Mottopartys. Nur die Lust war da, gemeinsam etwas Neues zu wagen, ohne zu wissen wie dieses Neue aussehen würde. Laura spürte, dass genau dieser Thrill in ihr Leben passte. Ihre junge Liebe war eine Mauer, die alle Zweifel blockierte. Ohne groß nachzudenken, fuhren sie los, zu einem Club den sie über das Internet ausfindig gemacht hatten.
Vielleicht, wenn sie eine schlechte Erfahrung gemacht hätte, wenn ihr Erlebnis dort in einer Katastrophe geendet wäre, hätte sich ihr Leben mit Daniel anders entwickelt, irgendwie herkömmlicher, bürgerlicher vielleicht. Wie ein Essen in einem mittelmäßigen Restaurant, das man nicht noch einmal besucht, hätte sie es als Einsicht abgelegt und auf anderem Wege weitergemacht. Aber dieser Freitagabend war voller Sinnlichkeit und Leidenschaft. Während die anderen Gäste an der Bar und am Buffet saßen, probierten Laura und Daniel die Räume und das Mobiliar aus. Sie erkundeten das Neuland und fanden auch jemanden, der es mit ihnen gemeinsam erkundete. Laura spürte keine Eifersucht, nur ein euphorisierendes Gefühl der Erregung, während sie Daniel beim Sex zuschauen konnte. „Das ist mein Mann“, dachte sie, als ein Gefühl von Stolz in ihrer Brust pulsierte. Gleichzeitig feuerte sie der Gedanke an, dass er ebenso dachte, wenn er zu ihr herüberschauen würde. Wenn Laura von diesem Abend spricht, schwelt ein wenig Wehmut in ihrer Stimme. Damals war ihr, als wäre es eine Offenbarung gewesen, die auf beide gewartet hatte. Partnertausch schien so natürlich zu sein; was sollte geschehen, wo sie doch ein unsichtbares Band mit Daniel zusammenhielt, wie es das gleiche bei dem anderen Paar tat. Laura war glücklich.
Von da an war es aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken. Im Gegenteil, Partnertausch nahm immer mehr Raum in ihren Gesprächen und ihrer Wochenendplanungen ein. Für Laura war es aufregend und schön. Es entwickelte sich zum Ritual. Die Freitage und Samstage wurden zelebriert. Wenn sie morgens duschte, rasierte Laura erst sich und dann Daniel, der glaubte, seine Körperbehaarung würde den Frauen nicht gefallen. Anschließend, wenn die Aufgaben des Tages erledigt waren, gingen sie zusammen in die Modeboutiquen. Kauften ein neues Kleid für Laura, ein schönes Hemd für Daniel. Hübsche Dessous und ein ansehnliches Paar Pants. Sie beschenkten sich gegenseitig, machten ihre Besuche im Swingerclub zu Feiertagen, an denen sie nie zweimal mit den gleichen Sachen auftauchten. Und das, obwohl sie auch nie die gleichen Swingerclubs zweimal hintereinander besuchten.
Erst wollten sie alle existierenden, die sie mit dem Auto erreichen konnten, ausfindig machen. Jeden Club einmal gesehen haben. Laura stellte bald fest, dass man sich auf nichts verlassen konnte, sondern bei jedem Besuch für Überraschungen gewappnet sein musste, vor allem was die Gäste betraf. Sie machten oberflächliche Bekanntschaft mit Grünschnäbeln, wie sie welche waren und alten Hasen, die mitunter länger in den Swingerclub gingen als Laura und Daniel Jahre alt waren. Es wunderte sie auch nicht, dass es oft nicht zum Partnertausch kam, obwohl viele Menschen anwesend waren. Weil die Paare so viel älter waren oder weil manchmal eine schier flächendeckende Unlust herrschte, und sie und Daniel auf den Spielwiesen fast alleine waren, oder weil sich kein Paar finden ließ, bei dem totale Übereinstimmung herrschte. Vier Leute unter einen Hut zu kriegen, war nicht einfacher, nur weil alle aus demselben Grund an Ort und Stelle waren. „Wenigstens haben wir noch einander“, dachte Laura wenn es an einem Abend partout nicht klappte.
Was sie störte war, dass Daniel es anders zu sehen schien. Wiesen ihn andere Frauen zurück, tat er dasselbe mit Laura, verschloss sich ihr sogar ganz. Sie versuchte ihn aufzumuntern, „die Frauen würden ihre Entscheidung bereuen, wenn sie wüssten was sie verpassen“. Und sie meinte was sie sagte. Sie kannte jede positive Kleinigkeit, die ihr an ihm gefiel, und so war da immer ein Vergleichen, das sie nicht vermeiden konnte. Mit je mehr Paaren sie Sex hatten und mit der steigenden Zahl an Erfahrungen, wurde ihr prüfender Blick stärker. Denn auch wenn es Spaß machte, oft empfand sie die anderen Männer als höchst mittelmäßig. Aus Lauras Sicht konnten sie Daniel nicht das Wasser reichen. Deshalb verstand sie die anderen Frauen, die ebenso skeptisch schauten, was er ihnen wohl zu bieten hatte. „Die Frauen sind fast immer echte Hingucker“, hatte ihr einst eine im Gespräch gesagt, „aber die Männer lassen sich meist gehen. Für uns ist die Auswahl nicht groß.“
Wann die Veränderung genau begonnen hatte und weshalb, an dieser Überlegung war Laura lange verzweifelt. Es waren über zwei Jahre vergangen seit ihrem ersten Mal Partnertausch, als Daniel begann, dicht zu machen. Laura versuchte es mit Locken und Bitten, aber er ließ sich nicht mehr auf die Swingerclub-Spielwiesen bringen. Er saß jetzt an der Bar und ignorierte sie. „Plötzlich wurden die Tage immer häufiger, an denen wir zwar in einen Swingerclub gingen, aber dort keinen Sex mehr hatten, obwohl alle aus diesem Grund dort waren.“
Sie war unzufrieden, weil sie ihn nicht verstand. Weil sie das Gefühl hatte, dass er ihr plötzlich und grundlos etwas vorenthielt, das sie ihm noch nie verweigert hatte. Und weil er nicht bereit war, ihr zu erklären, woran es lag. Sie malte sich aus, dass sie der Grund war. Dass sie etwas falsch gemacht hätte; an den schlimmsten Tagen glaubte sie ihre Attraktivität für ihn verloren zu haben. Manchmal sagte er gar nichts, meistens verneinte er es. Aber sie gingen weiter in Swingerclubs. Laura wusste nicht mehr wofür. Erst viel später konnte sie die Puzzleteile zusammensetzen; aber warum es so plötzlich kam, weiß sie bis heute nicht.
Den größten Anteil an Besuchern stellten Singlemänner. Die besten Kunden, bei Preisen von über 100 Euro. Im Club sind sie es, die den Pärchen auf Schritt und Tritt folgen, sich einen runterholen, während die anderen Sex haben und die versuchen, im Getümmel etwas Haut zu ergattern. Laura merkte, dass Daniel dies störte. Je mehr Erfahrungen sie sammelten, desto weniger schien es ihm gefallen, Zuschauer zu haben. Wenn die Singlemänner sie umzingelten, ihre Schwänze wie in einem Porno bereithielten, brach er ab und ging lieber wieder an die Bar.
Nach einigen dieser Erlebnisse wollte er dann gar nicht mehr in die Bereiche für den Sex. Vielleicht fühlte er sich, als könne er den Männern nicht entkommen, die mit Luchsaugen beobachteten, wann sich ein oder mehrere Pärchen in Bewegung setzten, um Sex zu haben. Sie wusste, dass Daniel nicht der einzige war, der sich in dem Beisein der Männer unwohl fühlte. Aber nicht alle Paare waren wie sie, manchen gefiel der Herrenüberschuss und sie luden sich ein paar zusätzliche Jungs in ihr Treiben. Für Laura und Daniel aber galt: keine Singlemänner und keine Singlefrauen. Nur Partnertausch. Als beide dann innerhalb kürzester Zeit zwei Singlemännern begegneten, die Bekannte von Daniel waren, endete seine Bereitschaft für den Sex im Swingerclub. Zumindest erklärte Laura es sich später so.
Aus Trotz stellte sie sich irgendwann quer. Zwang sich und Daniel eine Pause einzulegen vom Partnertausch. Zurück zu den Wurzeln der Beziehung und zurück zur Zweisamkeit. Obwohl es ihr Spaß machte, der Sex mit anderen Männern, fühlte Laura eine lang vergessene Ruhe. Jetzt erst merkte sie, wie hektisch ihr Leben verlaufen war, wie viel Zeit und Energie es kostete, jedes Wochenende auf den Partnertausch hinzuarbeiten. Ohne wollte sie nicht mehr, aber auch nicht mehr im Akkord. Viel später fragte sie sich, ob sie irgendetwas hätte anders machen können. Vieles was im Leben kommt, lässt sich vorher nicht absehen. Auch nicht, dass das was dann kam, der Anfang vom Ende sein würde.
Und der Anfang fand sich im Internet. Eher beiläufig und zufällig hatte Daniel die Möglichkeiten entdeckt, die es dem Partnertausch bot. Laura hatte dem zuerst keine besondere Beachtung geschenkt. Sie waren auf dem Weg zu einem Städtetrip, als Daniel die Stunden über im Auto an seinem Handy hing und ihr aufgeregt erzählte von diversen Webseiten über die man sich mit anderen Paaren verabreden konnte. Alles schien plötzlich so leicht. Über Profile ließ sich bis ins Detail erkennen, was die Menschen bereit waren preiszugeben. Vorlieben, Praktiken, selbst Hobbies und Privates. Und natürlich Bilder, fast alle nicht jugendfrei.
Daniel traf die Entscheidung im Alleingang. Keine Swingerclubs mehr, nur noch private Treffen, über das Internet arrangiert. Bald hatten Dutzende Menschen Daniels Handynummer. Lauras Sorgen, über die Echtheit der Profile, tat er ab. Neu entflammt ließ sich seine Lust kaum bändigen. So groß war sie, dass er das erste Treffen gegen Lauras Willen einfädelte. Alles in ihr hatte nein geschrien, als sie den Mann auf den Bildern sah, die Daniel ihr zeigte. Aber er lullte sie ein. Sprach von Toleranz, dass Bilder trügen könnten, dass der erste Eindruck täuschen könne und dass das Paar eine echte Chance verdient hätte. Die beiden kamen nur für das Treffen, in ein Hotel verlegt, hunderte Kilometer angefahren. Und ihr Bauchgefühl hatte sie nicht getäuscht.
Das Date wurde zum Desaster. Betrunken fiel Daniel über die Frau her, ließ Laura auf dem Bett mit einem Mann, der gerade erst aus einem Krankenhaus entlassen zu Sex noch gar nicht fähig war. Und der Laura zurückhalten wollte, als diese wutentbrannt feststellte, dass Daniel zum ersten Mal kein Kondom benutzte. „Ist doch ganz geil ohne Kondom, mir gefällt das“, hatte der Fremde gesagt. Und das, nachdem beim ersten schriftlichen Kontakt noch deutlich gesagt worden war, dass Safer Sex Pflicht sei. Laura fühlte sich verlassen, von allen Seiten betrogen, am schlimmsten jedoch von Daniel, der vom Alkohol umnebelt ihre Wut nicht mehr wahrnahm.
Der Streit, der zu Hause folgte, war umso entsetzlicher. Und wieder fühlte Laura sich wie im Film. Wenn auch dieses Mal nicht vor Glück und wenn es auch Daniel war, der Sachen durch ihre gemeinsame Wohnung schmiss. Sie würden sich wieder zusammenraufen, dachte Laura danach. So wie man es nach einem Streit eben tut. Und Daniel zeigte sich reuig, am nächsten Tag nach ausgeschlafenem Rausch, wenn auch nicht vollkommen. Er sagte ihr, dass das erste Mal schief gegangen sei, eine unschöne Situation, die man wieder vergessen solle. Und um zu vergessen, organisierte er weitere Treffen mit immer neuen Paaren. Laura konnte sich nicht erklären, warum alles aus den Fugen geriet.
„Er trank jetzt viel mehr“, soviel war sicher, „hin und wieder hatte er mir gesagt, dass er das bräuchte. Den Alkohol, um sich vollkommen auf den Partnertausch einzulassen“. Aber sie empfand es als Ausrede, wenn sie daran dachte, wie er damals war. Dann eröffnete er ihr, dass er die gemeinsam beschlossene Regel, dass es mit anderen Partnern kein Küssen gäbe, nicht mehr halten wolle, dass es für ihn ein Teil des Partnertausches sei und dazugehöre“. Immer öfter erwischt sie ihn dabei, wie er versucht das Kondom wegzulassen, womit er oft nicht nur sie, sondern auch die anderen Frauen aufbrachte. Und dies war der Zeitpunkt, zu dem sie anfing sich selbst zu belügen, ein instabiles Kartenhaus.
Beim Einkaufen, lesen oder lernen. Ruckartig überkamen sie die entzweienden und überlagernden Gedanken. Dass sie sich doch früher immer gesagt hatte, dass das Nichtverwenden von Kondomen Betrug sei. Weil es bedeutete vergessen zu haben, dass man sich und seinem Partner gegenüber Verantwortung trug. Auch die Verantwortung die Gesundheit des anderen zu schützen. Aber Laura zog keinen Schlussstrich, sie blieb nur wütend. Sie wollte Daniel nicht verlassen. Sie wollte ihn weiter lieben und weiter geliebt werden. Immer wieder stritten sie sich nach ihren Treffen und immer häufiger auch davor.
Ihre Angst, dass er beim nächsten Treffen wieder zu weit gehen würde, überlagerte jede Freude auf einen schönen Abend. Und weil sie aus diesen Gedanken nicht mehr herauskam, war sie vielleicht auch mitschuldig daran, dass Daniel und sie zwar noch immer Partnertausch machten, aber immer seltener miteinander schliefen. Schleppend tat er nicht mehr die Dinge, die er früher mit ihr getan hatte. Er küsste sie nicht mehr, aber schaffte es, sie dazu zu zwingen, ihm zuzusehen, wie er andere Frauen küsste. Er leckte sie nicht mehr, dafür die anderen. Und irgendwann, wenn sie beim Partnertausch zu ihm kam, um sich ein paar Zärtlichkeiten zu holen, schickte er sie weg. Als hätte er ihr sagen wollen, dass doch genau in diesem Moment noch ein anderer Kerl da wäre, zu dem sie mit ihren Wünschen gehen solle.
Partnertausch mit Daniel wurde zu etwas, das Laura Magenschmerzen bereitete und Tränen in die Augen trieb. Fast vier Jahre später war sie auch bei dem Gefühl angekommen, sie musste es sich eingestehen. Jenes, das ihr jeder ihrer Bescheid wissenden Freunde beschworen hatte; die vielleicht natürlichste und doch unangenehmste Empfindung in einer Beziehung: die Eifersucht. Die Frauen, die von ihm bekamen, was sie von ihm nur noch selten kriegte, auf die war sie eifersüchtig. Ihr Kampf für die Liebe konnte den Partnertausch nicht mehr ausschließen. Wenn sie an die vergangenen Zeiten dachte, die in denen es ihr noch Freude bereitet hatte, merkte sie, dass sie auch nicht den Partnertausch verdammte, sondern das, was Daniel daraus gemacht hatte.
Jetzt fühlte sie eine schwere Ohnmacht, die ihr keinen Weg mehr bereithielt, der sie herausführen konnte. Daniel wollte den Partnertausch, sie wollte Daniel und über diesem Wunsch akzeptierte sie was er tat und konnte es doch nicht. Ihre Hoffnung ertränkte sich in Kompromissen, die oftmals scheiterten und in noch mehr Wut, Trauer und Verbitterung mündeten. Alles was Daniel inzwischen tat, war ihr ein rotes Tuch geworden. Und Laura inzwischen allein. Ihre Scham war zu groß um auch nur mit jemandem darüber zu sprechen, um Rat zu fragen, der ihre Geschichte noch nicht kannte und dem sie diese dann erst hätte erzählen müssen. Denn dies war keine Geschichte, die man anderen anvertraute.
Dann hätte sie auch erzählen müssen, dass sie einmal geglaubt hatte, dass der Partnertausch etwas Bereicherndes wäre. Und wer hätte ihr das geglaubt und sie nicht endgültig für verrückt erklärt? Daniel und Laura waren fünf Jahre zusammen, als Laura entschied, dass gar nichts mehr ging. Partnertausch alleine war nicht möglich, das wusste auch Daniel, der sich jedoch nicht von ihr trennte, um dann ganz einfach als Single weiterzumachen. Hätte sie ihr Leben in ein Vakuum gesteckt und all diese Teile entfernt, diesen Partnertausch, der sich von einem gutartigen Tumor in bösartigen Krebs verwandelt hatte; Laura war sich noch immer sicher, der Rest wäre Liebe gewesen. In allen anderen Dingen, glaubte sie seine Liebe noch immer sehen zu können. Aber es gelang ihr auch nicht mehr zu leugnen, was sich nach ihrem Schlussstrich in seiner zunehmenden Härte zeigte. Zeit, die er früher mit ihr verbracht hatte, verbrachte er jetzt mit seinen Freunden, vertröstete Laura von Wochenende auf Wochenende. Nach fünf Monaten Pause platzte es aus ihm, wie ein Geschoss. Er wollte wieder Sex mit anderen Paaren. Sofort, ohne Umschweife und ohne etwas zu ändern, sein Entschluss stand fest.
Laura dachte daran, wie sie einst vor ihren guten Freunden für den Partnertausch plädiert hatte. Die Exklusivität der Liebe, von dem die monogam Lebenden sprachen, den Gedanken dahinter hatte sie verstanden. Aber Partnertausch war für sie auch eine exklusive Liebe, dass man den Körper teilte, bedeutete nicht, dass man es auch mit den Gefühlen tat. Sie dachte daran, wie jeden Tag Tausende Menschen One Night Stands erlebten, in denen auch keine Gefühle involviert waren. Dass die meisten ihrer Freunde es anders sahen, konnte sie damals nicht verstehen. Sie war überzeugt. Warum es nicht mit dem Partner gemeinsam erleben, den Spaß daran für beide Seiten, anstatt des klammheimlichen Fremdgehens, in das sich nach Statistiken scheinbar so viele verstrickten und das so viel Leid verursachte.
Heute wusste sie mehr. Partnertausch als „Beziehungsform der Zukunft“, würde auch nicht alle Paare retten und sie auch nicht von Leid befreien. Am Ende konnte die Theorie noch so schön sein, die Abgründe dessen, was die Menschen daraus machten, waren unermesslich. Und ebenso die zu erleidenden Schmerzen. Mehr als fünf Jahre später kehrte Laura in eine Welt zurück, in der es keinen Daniel mehr gibt. Freunde sind sie nicht geblieben und mit dem Partnertausch hat sie auch aufgehört. Sie glaubt, für immer.
Von Safia Ziani
Bildnachweis: Édouard-Henri Avril [Public domain], via Wikimedia Commons