Morgens, halb zehn in Neukölln, Berlin. Ich verlasse meine Wohnung. Außer ein paar Kindern, die mit ihren verschlafenen Eltern zwischen Hundekot und einer begrünten Bürgersteigfläche Slalom laufen, wirken die Straßen wie ausgestorben. Der einzige Laden, der geöffnet hat, ist die Kneipe Bierbaum 2 in der Sonnenallee. Neuerdings sitzen hier Hipster zusammen mit den alten Stammgästen.
Ich denke kurz darüber nach, wie sich wohl so ein Neuköllner Langzeit-Alki fühlen muss, der Stück für Stück sein geliebtes Neukölln an die Hipster abtreten muss. Aus der Eckkneipe wird entweder ein Coworking-Space, ein Frühstücks Café oder eine laktosefreie Eisdiele. Jägermeister gibt’s woanders.
Doch auch immer mehr Suffecken werden von den Hipstern in Beschlag genommen, was sich dann liebevoll „Cornern“ nennt. Ob auf einer Baustelle, einer klapprigen Bierbank am Späti oder einfach auf der guten alten Parkbank. Nirgends gibt es mehr einen Rückzugsort zum besaufen. Bedeutet: Drinnen und Draußen fallen die Plätze weg. Doof.
Geblieben sind wenige Spelunken, in denen tatsächlich Menschen noch ihr Glück an Spielautomaten herausfordern und zu jeder Uhrzeit kommentarlos eine Schultheiss-Molle bekommen. Und wäre das nicht schon alles Schlimm genug, schleichen sich neuerdings auch eben genau diese Hipster in die Bierbäume und machen die Welt des Neuköllner Alkis immer kleiner.
Gelangweilt von Industrielampen, Gin Basil Smash und spanischem Akzent, möchte der Hipster mal wieder was erleben. Meist kommt er aus einem gut behüteten Kaff oder eben aus München, was jetzt auch nicht wirklich anders ist. Er ist mit viel Geborgenheit und Sicherheit im Leben aufgewachsen und möchte sich nun in Berlin-Neukölln die Hörner abstoßen. Wie schön.
Zurück zum Bierbaum 2. Nun sitzen sich da zwei unterschiedliche Sorten Mensch morgens um halb Zehn in einer „Bar“ gegenüber. Der eine trägt einen Fila-Pullover, weil es cool ist. Der andere, weil es mal cool war – anno 1996.
Während ich das Paralleluniversum des Bierbaums 2 hinter mir lasse, genieße ich die letzten Sonnenstrahlen des Jahres, die zwischen den Altbauhäusern und Bäumen hervorstechen. So ruhig ist es auf der Sonnenallee sonst nie. Die arabischen Schlachter, die Cafés und Wettbüros. Alles hat zu. Ich höre sogar die Vögel zwitschern, bis der M41-Bus an mir vorbei donnert und mir für die nächsten zehn Meter eine warme Auspuffwolke hinterlässt. Nun wird mein Schritt schneller, ich habe Hunger.
Während ich um diese Uhrzeit früher noch durch dunkle Technoclubs tingelte, ziehe ich es mittlerweile vor, die Nacht zur Nacht zu machen und den Tag zum Tag. Als meine Mutter einmal sagte, dass Essen der Sex des Alters sei, hatte sie vergessen zu erwähnen, dass das Frühstück der Höhepunkt ist.
Wo ich neuerdings auch hinschaue, poppt ein Frühstücks-Café nach dem nächsten auf. Ich bin wohl mit meiner Phase nicht die Einzige. Der Indikator für ein gutes Frühstücks-Café ist die Frühstücksdekoration. Instagram isst mit. Ob ein Brot oder ein Rührei, ganz wichtig ist neuerdings auch die Superfrucht Avocado. Dass so ein Frühstück nicht mehr 4,50 Euro inklusive einem schwarzen Kaffee kostet, ist auch völlig egal.
Ich war nun endlich in der Straße meines Cafés angekommen und erspähte schon eine Schlange. Super. Mein Serotoninspiegel ging nochmal weiter runter, als ich mich mit Touristen in einer Schlange für die freien Tische anstellen musste. Vor mir unterhielten sich zwei Österreicherinnen mit jeweils einer Primark-Tüte in der rechten und einem Cabin Trolly in der linken Hand. Sie kamen gerade aus dem Technoclub Sisyphos, bevor es wieder gen Heimat ging. Ich versuchte, mich in ihr Gespräch einzulauschen, bemerkte aber schnell, dass es ein tot langweiliger Abend gewesen sein musste und war ziemlich enttäuscht und anschließend genervt vom Akzent.
Mit viel Glück und Geduld bekam ich nach 20 Minuten einen Tisch draußen zugeteilt. Die Sonne schien nun direkt in mein Gesicht und ich bekam wieder gute Laune. Während ich wartete, kam ein ungepflegter Mann Mitte 40 hektisch auf mich und meinen Tisch zu. Er trug einen langen zotteligen Bart, dreckige Turnschuhe und eine ausgewaschene Trainingsjacke. Er wolle sich meine „Menükarte ausleihen“. Ahja. Erst als er sein neues iPhone zückte und den dazu passenden AirMac auf dem Tisch aufbahrte, wurde mir klar, dass es sich hier nicht um einen Obdachlosen handelte, sondern um einen Hipster. Verrückt.
Gestärkt von meinem Avocado-Brot für 10 Euro und meinem Flatwhite für 4 Euro, fand ich, es war noch Platz für etwas Süßes. Ich legte einen Stopp beim Nussladen am Kottbusser Damm ein, wo es diese tollen gebrannten Mandeln gibt und keine große Schlange auf mich wartet. Lecker.
Der Kottbusser Damm trennt Kreuzberg von Neukölln. Doch auf beiden Seiten des Kottbusser Damms befinden sich diverse türkische Supermärkte, die wie sonst kein anderer Supermarkt in Deutschland ihr günstiges Obst und Gemüse auf dem Bürgersteig präsentieren. Während bei vielen mittlerweile die Angst vor übergroßen Supermarktketten wächst und Kartellämter ihre Krallen ausfahren, kann man das von den türkischen Supermärkten nicht behaupten. Alle 30 Meter ein anderer Supermarkt. Generell ist hier alles ziemlich in türkischer Hand. Ich schaue beim vorbeigehen in die Fenster – der Backshop, der Imbiss – sogar die Fahrschule hat die meiste Außenbeschriftung in Türkisch. Doch ein Laden sticht hier raus. Ich trete zurück und lese das unverschämte Preisschild für den Fencheltee. Hier kaufen wirklich nur Deutsche. Es ist die Bio Company.
Von Marie Kröger
Bildnachweis: Von Marie Kröger