Rotwein, Safari, Gartenroute, Nelson Mandela: Südafrika, die Regenbogennation. Doch das Land ist laut Ranking gefährlicher als der Kongo. Das Vorzeigeland Afrikas versinkt in Kriminalität, Korruption und radikalem Rassenhass. Die, die es können, schicken ihre Kinder weg.
Ich sitze in Stellenbosch, einer kleinen Studentenstadt nicht weit von Kapstadt entfernt, in einem Café mit Blick auf die Berge, die bei dem Sonnenlicht rot leuchten. Dazwischen Palmen und Kolonialstil-Häuser. Eine perfekte Rosamunde-Pilcher-Kulisse eigentlich, wäre da nicht der Obdachlose gegenüber, der mit heruntergelassener Hose und nur umwickelt von einer Decke die Straße entlanggeht und in jeden zweiten Mülleimer schaut.
Hier ist die Welt „noch in Ordnung“ erzählt mir Heidi, während uns der bestellte Cappuccino serviert wird – von einem schwarzen Kellner natürlich. Heidi ist wie viele hier aus Namibia und hat deutsche Wurzeln. Ihre Eltern, sogar ihre Großeltern, haben kein anderes Leben als das hier kennengelernt. Wie ihnen, geht es vielen hier. Fragt man sie nach ihrer Heimat oder Herkunft, antwortet sie Afrika und nicht Deutschland. Dabei hat Heidi grüne Augen, dunkelblonde Locken, auf ihrer Nase sind sogar Sommersprossen – Afrika sieht für mich anders aus.
Geht es nach den meisten Weißen hier, könnten die Schwarzen „froh sein, dass es die Kolonialzeit überhaupt gab“. Immerhin brachten die Weißen neben der Sklaverei ja auch die Universitäten, die Straßen, die Autos und so weiter. Rassismus „fängt hier schon im Kindergarten“ an, meint Heidi. Jede ehemalige Kolonialmacht, habe einen eigenen Kindergarten – die Deutschen, die Engländer und die Buren, also die Holländer, die als Afrikaans geblieben sind. Im Kindergarten der Afrikaans, sei es nichts ungewöhnliches, dass die Schwarzen als Affen bezeichnet werden, also als Menschen zweiter Klasse.
Kentucky Fried Chicken: „Mehr brauchen die nicht“
Bei dem Wort Afrikaans verdreht Heidi die Augen. Die meisten sind laut ihr viel zu christlich, rechts und spießig. Heidi wirkt auf mich wie ein normales weltoffenes Mädchen, Anfang 20 mit viel Wanderlust. Trotzdem störe es sie nicht, dass die meisten Schwarzen nicht in einem Haus mit fließend Wasser wohnen, sondern in einem Township. Laut ihr sind die Schwarzen schon zufrieden, wenn sie es sich leisten können, bei Kentucky Fried Chicken zu essen – „mehr brauchen die nicht“.
Dass was ihr eigentlich viel mehr Sorgen bereitet, sei die immer stärker werdende Kriminalität und die Gang-Morde. Zusammen mit anderen Mädchen, habe sie sich einer Whatsapp-Gruppe angeschlossen, die vor merkwürdigen und ungewöhnlichen Vorkommnissen in der Umgebung berichtet.
„Es wird meistens ein blondes weißes Mädchen erstochen, aber sie wird immer vorher vergewaltigt“ erzählt Heidi emotionslos. Das sei eine Art Aufnahmeritual für das Gefängnis in Kapstadt und die dort ansässige Gang twenty-six.
Oft seien die Täter dabei auf Tik, einer Droge ähnlich wie Crystal Meth – doch bei weitem billiger und einfacher zu bekommen. Viele seien mittlerweile auf Tik.
Und was ist mit der Polizei, frage ich. „Die ist total korrupt und macht nichts!“ antwortet Heidi sauer. Jeden Tag liegt vor ihrer Haustür ein neuer Scherbenhaufen aus zerbrochenen Autoscheiben, obwohl die Polizei direkt gegenüber stationiert ist. Sowieso müsse man sich hier selbst verteidigen, weshalb die meisten auch einen Armed Patrol Wachschutz haben, der mit Maschinenpistolen ausgerüstet ist.
Der einzige Vorteil sei, dass man beim zu schnellen Autofahren die Kontrolleure mit Naturalien oder Geld bestechen könnte
Heidi studiert auch an der ‚University of Stellenbosch’, einer der besten Universitäten Afrikas – und vorwiegend besucht von Weißen. Die Unigebühren sind zu hoch für Schüler, die aus armen Familien kommen. Über Förderpogramme werde so gut wie kaum informiert. Chancengleichheit, wie wir sie kennen, dank BaFöG und Studienkrediten, ist hier den meisten völlig fremd.
Die, die es können, wandern aus. Viele von Heidis Freunden, die Ihren Uniabschluss haben, suchen sich gezielt Praktika in Europa oder Australien. Wenn die Familien genügend Kapital hat, gehen sogar gleich alle mit. „Zu gefährlich“ ist es geworden und es gebe nur „schlecht bezahlte Jobs“. Heidis Tante, die in Johannesburg lebte, zog erst vor kurzem nach Brasilien – dort habe sie nun mehr Freiheiten.
Zurück nach Kapstadt fahre ich an meterhohen Bränden vorbei die auf den umliegenden Weinfeldern auflodern. „Frustriert und wütend“ seien die Menschen hier, schimpft mein Fahrer, sie legen die Brände, um zu protestieren, gegen ihre Hoffnungslosigkeit und das System. Jeden Tag gibt es mehr als einen Brand.
Wie schnell so etwas auch gefährlich werden kann, ist kaum vorstellbar. Die Region wird von der schlimmsten historischen Dürre seit hundert Jahren heimgesucht. Schon seit Monaten erlässt die Regierung Regeln zur Wasser-Verteilung.
Blumen gießen, eigener Pool, Autowaschen – alles das ist strengstens verboten, ansonsten droht das Gefängnis oder Geldstrafen ab 700 €.
Bald wird es eng. Als erstes kommen dann die Townships, zuletzt die Touristen.
Mein Apartmentkomplex, in dem ich übernachte, hat eine drei Meter hohe Mauer, einen sechsspurigen Elektrozaun und jedes der Fenster ist vergittert. Die Gegensprechanlage wurde demontiert, zu hoch war die Gefahr, das dadurch Fremde reingelassen werden könnten. Vorletzte Woche gab hier es einen Einbruch in der Garage. Jemand hatte es geschafft über einen Baum auf das Grundstück zu gelangen – der Baum wurde daraufhin sofort gefällt.
Das hier ein Baum sofort ohne Genehmigung vom Ornithologen gefällt werden darf, war für mich das geringste Problem. Doch wer würde eigentlich finanziell davon profitieren, wenn das Land sicherer werden würde?
In der Politik sehen die Südafrikaner kaum noch Hoffnung oder eine Veränderung. Der Rand ist auf dem schlechtesten Währungskurs überhaupt und die Kreditwürdigkeit wurde vor kurzem auf Ramschniveau gewertet. Dass Politiker ihre gesamten Familien als Minister beschäftigen, gehört schon fast zum guten Ton. Es ist also kein Wunder, dass der linksradikale Politiker Julius Malema der EFF (Economic Freedom Fighters) von der Wut im Land profitiert. Rote Armee Mützen sind ihr Markenzeichen, der Stil ähnelt einer Guerillatruppe mit rassistischer Rhetorik.
„Tötet die Buren“ singt man gemeinschaftlich auf dem Parteitag der EFF
Auf einem Parteitag spielte Malema vor kurzem öffentlich das Lied „Tötet die Buren“, ein Lied was zum Mord gegen weiße südafrikanische Farmer aufruft. Trotz dessen steigt seine Popularität und die der Partei.
Der Gast im Restaurant ist ein Weißer, der von einem schwarzen bedient wird – so die Regel. Wie ungerecht muss es sein, für die sogenannte „Bornfree“ Generation, zu sehen, dass trotz des Endes der Apartheid immer noch unsichtbare Barrieren da sind?
Seit dem Ende des Apartheidsystems werden in Südafrika elf amtliche Landessprachen gezählt – was zuerst nach Multikulti klingt, ist in der Realität ein großes Problem. An der Uni wird in Englisch unterrichtet und in Afrikaans, doch die schwarze Bevölkerung spricht zum größten Teil isiXhosa oder isiZulu. Dass man ohne Englisch oder Afrikaans studieren, arbeiten oder gar als Führungskraft arbeiten kann, ist selten und kaum vorstellbar.
Während diejenigen die das Land verlassen können gehen, kommen täglich Freiwillige aus dem Ausland nach Südafrika um in Kindergärten oder Schulen den Kindern Englisch beizubringen. Zuhause wird dann wieder die Muttersprache gesprochen. Ein Teufelskreis.
Von Marie Kröger
Bildnachweis: Titelbild von Kleinerweltenbummler [Public Domain] via Wikimedia Commons; Intext-Bilder von Marie Kröger