„In Afrika herrscht nämlich die sogenannte r-Strategie vor, die auf eine möglichst hohe Wachstumsrate abzielt. Dort dominiert der sogenannte Ausbreitungstyp und in Europa verfolgt man überwiegend die K-Strategie, die die Kapazität des Lebensraums optimal ausnutzen möchte, hier lebt der Platzhaltertyp. Die Evolution hat Afrika und Europa vereinfacht gesagt zwei unterschiedliche Reproduktionsstrategien beschert.“ So der Thüringer AfD-Vorsitzender Björn Höcke bei einer Rede am Institut für Staatspolitik im November 2015.
Mit diesem, sprachlich als „Wissenschaft“ verkleideten Zitat, sieht man den Kern der Alternative für Deutschland: eine als konservativer Wertekanon getarnte Xenophobie oder auf den Punkt gebracht: bürgerlicher Rassismus.
Und täglich grüßt der Rassismus
Alltagsrassismus kann viele Formen annehmen. Es kann der abwertende Blick im Zug sein, die regelmäßigen „zufälligen“ Kontrollen durch Beamte, die ständigen Zurückweisungen vor den Clubs oder ein simples „Du sprichst aber gut deutsch!“ Dieses Verhalten entspringt der menschlichen Natur, seine Umgebung möglichst präzise bestimmen und einordnen zu wollen, selbst wenn die Parameter der Einordnung Relikte aus anderen Zeiten sind.
Der nächste Schritt ist die Einteilung von „wir“ und „sie“, die bewusste Abgrenzung von bestimmten Gruppen, die Erschaffung eines negativen Gegenpols. In der Soziologie beschreibt man dieses Verhalten als „Othering“ und in den meisten Fällen erhalten die „Anderen“ alle Eigenschaften, die negativ, böse oder einfach gesellschaftlich unerwünscht sind.
Die AfD und ihre Taktik
Für den Übergang von Theorie zur Empirie bietet die AfD unzählige Belege und Beispiele. Es gehört fast schon zum gepflegten Umgangston des AfD-Kaders, die aktuelle politische Debatte rund um Flüchtlinge, Asylpolitik und Integration zur Verzerrung der Realität und Polarisierung der Gesellschaft zu nutzen. Jede Erwähnung dieser Thematik geht einher mit abwertenden Adjektiven und diffamierenden Beschuldigungen.
Neben den Aussagen der Parteifunktionäre, die ihre xenophoben Theorien und Erklärungen immer cleverer tarnen, spielt auch der Umgang mit der jeweils herrschenden Atmosphäre eine wichtige Rolle. Ein gutes Beispiel dafür, ist die Aussage Petrys bezüglich des Schusswaffengebrauchs an deutschen Grenzen. Sie verteidigte ihre Aussage, man müsse, selbstverständlich als Ultima Ratio, deutsche Grenzen auch mit Waffengewalt schützen, indem sie darauf hinweist, dass sie sich lediglich auf deutsches Recht bezieht.
Hier zeigt sich ein wichtiger Mechanismus, den die AfD brillant beherrscht: Sie analysiert die Atmosphäre im Land, lokalisiert die größten Ängste (z.B. Flüchtlinge, illegale Einwanderung) und liefert kühl kalkulierend die passenden, extrem provokanten (teils hetzerischen) Aussagen, die im Zusammenspiel mit der gesellschaftlichen Stimmung fremdenfeindliche Ressentiments bedienen, ernste Sorgen der Bürger instrumentalisieren und ihnen vereinfachte Scheinlösungen bieten. Falls die Eine oder Andere Aussage mal zu weit geht und zu tief in das braune Innere der Partei blicken lässt, wird sie einfach am nächsten Tag revidiert oder als „Fehler“ eingeräumt. Ganz nach dem Motto: provozieren, relativieren, dementieren!
Zum Streit gehören immer zwei
Doch was hat das alles für eine Auswirkung für den anders denkenden Teil der Bevölkerung? Als Bürger dieses Landes wird man ungewollt Zeuge einer perversen Art des „Othering“, einer maßlos übertriebenen, irrationalen, unbegründeten, aufgeblähten Form des Fingerzeigs. Ein „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann“, aber nicht gespielt von kleinen Kindern, sondern von Erwachsenen; mehr noch, von einem ehemaligen Oberstudienrat (Björn Höcke), einem promovierten Juristen (Alexander Gauland), einem Wirtschaftswissenschaftler (Jörg Meuthen) und einer promovierten Chemikerin (Frauke Petry).
Man hat den Eindruck, ein Teil der Bevölkerung hätte jahrelang ihren Frust, ihre Wut und ihre Enttäuschung gesammelt, nur um sie beim erstbesten Feindbild hemmungslos entladen zu können- und die AfD sonnt sich in der Gunst der Stunde.
Aber so einfach ist es nicht. Viele Politiker geben den rechten „Rattenfänger“ die gesamte Schuld, da diese durch ihren Populismus der Auslöser für alles seien. Dieser einseitigen Erklärung liegt zugrunde, dass man das Volk als karge, unmündige Menschen skizziert, als Spielball des Konglomerats von Politik, Medien und Konsum. Dem widerspreche ich vehement!
Der Mensch ist ein fehlerhaftes Wesen, in den meisten Momenten schwächer, fauler, bequemer und unsensibler als er sein sollte. Er weiß es oft nicht besser, hat Angst, hat Zweifel, ist an manchen Tagen glücklich, an manchen Tagen einsam und an den meisten Tagen überfordert. Doch an all diesen Tagen ist er für sein Handeln verantwortlich.
Meiner Meinung nach ist es diese Schwäche und das zutiefst menschliche Gefühl der Hilfslosigkeit, das die Wähler zu diesen Parteien treibt. Sie nehmen den einfacheren Weg, suchen die Lösungen für hochkomplexe Themen in einfachen und plakativen Thesen und nehmen sich nicht die Zeit, erst zu verstehen und dann zu handeln.
Die existenziellen Ängste, die diese Menschen plagen, sind in den meisten Fällen legitime Anliegen und müssen politisches Gehör finden. Es geht oft um die unsichere Rente, Arbeitslosigkeit, soziale Sicherheit, Armut oder Identitätsprobleme. Doch die Art und Weise, wie sie öffentlich artikuliert werden, ist in einer pluralistischen und offenen Gesellschaft absolut inakzeptabel. Die Menschen begehen den Fehler und legen essenzielle Errungenschaften der Zivilisation ab, nur, weil sie es gerade nicht besser wissen.
Respekt, Empathie, Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe, Rücksicht, Toleranz, Offenheit und eine positive Einstellung – diese Dinge machen unser Land erst lebenswert und ohne sie wird der zwischenmenschliche Halt innerhalb der Gesellschaft immer dünner. Wer Merkels „Wir schaffen das“ nicht ausstehen konnte, sollte sich viel mehr auf einen anderen ihrer Sätze konzentrieren und ihn zu Herzen nehmen: „Angst war noch nie ein guter Ratgeber!“
Einfache Antworten? Fehlanzeige!
Auch wenn der moderne Mensch in einer zunehmend komplexeren Welt nach einfachen Lösungen sucht, sind die meisten Ereignisse nicht geeignet für schematische Antworten. Es war noch nie hilfreich, die Welt mit nur zwei Farben zu erklären. Der Großteil der Menschen befindet sich zwischen diesen beiden Extremen und bildet ein Meer aus Abstufungen, Zwischentönen und Schattierungen. Jeder Fall, sei es der Pegidistm Frauke Petry oder die deutsche Flüchtlingspolitik, ist ein Fall für sich und muss differenziert betrachtet werden. Doch gibt es keine Rechtfertigung für die respektlosen, diffamierenden, rassistischen und verletzenden Äußerungen dieser Partei. Und ich unterscheide nicht zwischen moderaten und extremen AFD-Mitgliedern.
Jedes Mitglied einer Partei, dessen Funktionäre vom Einsatz von Schusswaffen gegenüber Flüchtenden reden, keine Schwarzen als Nachbarn wollen, unserer Bundeskanzlerin die Schuld an Amokläufen und Terroranschlägen geben, oder den Multikulturalismus als Versuch der kulturellen Auslöschung sehen ist für mich naiv, respektlos – und gehört nicht in unsere Parlamente.
Von Celal Cagli
Bildnachweis: Bundesarchiv, Bild 102-16748 / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de], via Wikimedia Commons