Es war einmal ein Mensch: unbekannte Tote

Wer die Anonymität in der Großstadt sucht, kann sie finden – und in ihr untergehen. Dort, wo Identitäten von Toten fehlen, beginnt die Vermisstenstelle des Landeskriminalamtes in Berlin ihre Arbeit.

Es ist ein einsamer Tod, in diesem Jahr bereits zum 60. Mal. Sie liegen im Park, treiben im Wasser oder ruhen versteckt in der Ecke eines windstillen Ortes. Manchmal Tage oder Wochen, bis sie jemand entdeckt. Leichen, bei denen sich bald zeigt: Wir wissen nicht, wer das war. Nur die sterblichen Überreste sind geblieben, von dem Menschen, der einst eine Persönlichkeit hatte – Gefühle – sicher hin und wieder lachte und manchmal wohl auch weinte.
Für Uwe Gohlke, Kriminalhauptkommissar der Vermisstenstelle des LKA, ist das tägliche Ringen mit „Unbekannt“ Berufsalltag: Wenn nur irgendwie möglich, soll jeder Tote wieder einen Namen kriegen. In seinem Büro erzählt er von dieser Aufgabe, „die sehr speziell ist und nicht jedem liegt.“ Die Arbeit mit den Toten; sie umfasst das Dabeisein selbst bei der Obduktion, um kleinste Hinweise auf der weiteren Suche nutzen zu können.

Die Erfolgsquote ist ermutigend. „Von den bisher 60 Fällen in diesem Jahr, sind bloß vier noch offen geblieben”, so Gohlke.
Das Aufklären der Identität macht die Arbeit aber nicht leichter. „Den Toten zu identifizieren, damit ist es leider nicht getan. Danach müssen wir das den Hinterbliebenen mitteilen. Für viele kommt der Tod vollkommen unerwartet. Gerade wenn es sich bei den Opfern um Selbstmörder handelt. Wenn man ihnen erzählen muss, dass sie sich von Häusern, Brücken oder vor einen Zug geschmissen haben, nur noch Leichenteile übrig geblieben sind. In diesem Beruf kommt man mit viel Leid in Erfahrung.”

Das Ende eines Lebens

Der Kommissar weiß, warum es in der Hauptstadt so viele unbekannte Tote gibt. „Berlin zieht an wie ein Magnet. Aus dem ganzen Ausland, gerade aus den ehemaligen Ostblockländern kommen die Menschen hierher, melden sich nicht an und leben auf der Straße.“ Es scheint fast schon leicht, das unbekannte Leben in den Gassen der Hauptstadt. Ohne die Sprache, über Einrichtungen, vielleicht auch Diebstahl, versorgen sie sich mit dem Nötigsten an Essen und Kleidung. Und untereinander „kennen sie sich auch“, weiß Gohlke, „aber nur mit dem Vornamen, wenn überhaupt, und damit muss man dann arbeiten.“

Damit arbeiten, das bedeutet auch die Fahrt zur Gerichtsmedizin, wo die Körper untersucht werden. Hier klärt sich, ob der Fall in der Vermisstenstelle bleibt, oder übergeben wird an die Mordkommission. „Auch wenn der Tote weiterhin unbekannt ist, wenn ein Tötungsdelikt vorliegt, dann sind nicht mehr wir zuständig”, stellt Gohlke klar. In den anderen Fällen führt meist die Wissenschaft zum Erfolg. „Der Abgleich der Fingerabdrücke oder des Zahnstatus, DNA Analyse, eingebaute Implantate und Prothesen. Wenn man nur kleine Anhaltspunkte hat, lässt sich die Identität oft schon ermitteln.”

Hilfe aus der Bevölkerung

Dennoch. In diesem Jahr sind es noch vier ungeklärte Tote. Und vier bleibt eine große Zahl, wenn man sich Familie und Freunde vorstellt, die vermissen. Die sich Stunde um Stunde, Tag für Tag sorgen, warten, hoffen. Wenn die, die suchen, in Deutschland leben, stehen die Chancen gut, dass ein Abgleich mit den Vermisstenmeldungen gemacht wird. Zu ausländischen Behörden steht man zwar immer in Verbindung, aber nur wenn es Anhaltspunkte gibt, die nach Berlin führen, wird Kontakt aufgenommen. Es ist die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, wenn der Tote aus der ganzen Welt stammen könnte.

„Wenn die Leiche in einem bestimmten Umkreis gefunden wurde, gehen wir auch schon einmal herum und fragen die Leute und in den Geschäften direkt. Kennen Sie den? Hat er schon einmal bei Ihnen eingekauft? Sind all unsere Ermittlungsanreize ausgeschöpft, dann bleibt uns nur noch der Hilferuf an die Bevölkerung.” Die Resonanz, die von den Berlinern kommt, empfindet Gohlke positiv, schon oft konnten sie bei der Aufklärung helfen.

Wenn Gohlke zurückblickt, auf all die vergangenen Jahre, ist da ein Gefühl von Zufriedenheit. Wenn die in diesem Jahr noch vier unbekannten Toten innerhalb von drei bis vier Monaten geklärt werden können, kommen sie nicht auf die „Wir bitten um Mithilfe“ Webseite der Berliner Polizei. Dort sind bisher elf unbekannte Tote seit 1995 aufgelistet, bei denen die 14 Mitarbeiter der Vermisstenstelle noch immer auf den entscheidenden Hinweis hoffen, „das sind tatsächlich die einzig übrig gebliebenen.“

Nur noch elf, will man sagen, bei wöchentlich ca. einem neuen Fall. Das sind viele Hüllen – die wieder zu Menschen werden durften.

Von Safia Ziani

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