Norm Porn oder Summerhill: Über Sinn und Unsinn von Normen

Meistens ist im Leben alles ganz normal. Und damit alles so bleibt, gibt es Normen, sogar eine ganze Menge: 33.856 Normen hatte allein das Deutsche Institut für Normung (DIN) zum Jahresende 2014. Weitere internationale Normen ergänzen die Regelwerke, an die heute der Weltnormentag erinnert. Das Datum ist bewusst gewählt. Heute vor 60 Jahren am 14. Oktober 1946 beschlossen Vertreter aus 25 Ländern, eine Internationale Organisation für Standardisierung (ISO) zu gründen.

Normen: die Personifizierung der Langeweile. Aber Normen haben einen entscheidenden Einfluss auf unser Leben. Schon mal drüber nachgedacht, wie es wäre, wenn man für jedes Land eine eigene Kreditkarte bräuchte? Wenn man sich Rohpapier für seinen Drucker selbst zuschneiden könnte, weil es kein einheitliches Format gäbe? Wenn die neue Glühbirne nicht in die Lampe passt, die Schnullerkette mit scharfkantigen Ecken dem Baby Schnittverletzungen beibringt oder das dringend benötigte Kondom entscheidende Millimeter zu dünn oder zu klein ist?

Normen sind der Garant für Normalität, zumindest im technischen Sinne. Normen legen fest, was als normal gilt und damit versichern sie uns als Verbrauchern wie auch der Wirtschaft, wie Produkte und Dienstleistungen, Maße und Gewichte und eine große Zahl von Standards auszusehen haben, damit wir alle problemlos im Alltag (dem normalen Leben eben) umgehen können.

Normen in Deutschland: alles DIN-ok

Normen sind in dieser Hinsicht eine Art Katalysator für die Wirtschaft. Ohne Normen lassen sich keine neuen Technologien flächendeckend einführen, man denke etwa an die Elektrofizierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts und heute an die Internet- und Telefonie-Infrastrukturen. Dass Normen helfen, Technologie und Innovation zu verbreiten, erkannte man früh. In Deutschland z.B. wurde bereits 1917 das Deutsche Institut für Normung gegründet – das heute übrigens in Berlin an der offiziellen Adresse „Am DIN-Platz“ residiert.


Das Deutsche Institut für Normung ist eine der wichtigsten nationalen Normungsorganisationen und vertritt unser Land bei den internationalen und europäischen Normungsgremien. Wir halten es für Bürokratie, dennoch sind solche Vorschriften manchmal unabdingbar wenn es um unseren Alltag geht. Normen bieten uns Orientierung, Sicherheit und vor allem Struktur und dienen laut eigener Aussage auch dem Verbraucherschutz. Aber wusstet ihr, dass laut Planet Wissen und der DIN EN 78-8 eine Schaukel nur eine Schaukel ist, wenn ihr Aufbau mit einem Querbalken, einem Schaukelelement, einem Aufhängungsmittel und einer Schaukelvorrichtung ausgestattet ist? Oder, dass die Härte von Butter genormt ist?

Normen als Treibstoff der Wirtschaft

Heute, am internationalen Weltnormentag wollen die großen Gremien der Normungsinstitute darauf aufmerksam machen, worin der Nutzen von Normen liegt. Allein für Deutschland schätzt das DIN die jährlichen Spareffekte durch Normen auf 16,6 Milliarden Euro ein. Sie sind unverzichtbar für neue, innovative Szenarien wie das vernetzte Haus bzw. Smart Cities und die digitale Transformation der Wirtschaft, was man gerne plakativ als Industrie 4.0 beschreibt. Normen sind aber auch unverzichtbar für den internationalen Handel – und damit einer der Wegbereiter der Globalisierung.

Es gibt zurzeit drei Formen von internationalen Normen. Die DIN EN ISO Norm, welche sowohl national, europäisch und international akzeptiert ist und gilt. Dann gibt es die DIN EN Norm, welche eine europäische Norm ist und von der DIN übernommen wurde und als letztes die DIN ISO Norm welche international und national anerkannt ist. Also sehen wir, dass nicht nur die Deutschen einen Hang zur Struktur und Ordnung haben. So können Frachter am Hamburger Hafen ihre Ladung in genormten Containern abliefern, asiatische Autos auf unseren Straßen fahren und Kinder auf sicheren Schaukeln sitzen.

Freiheit gleich ein Leben ohne Normen?

Aber genug von der Wunderwelt der perfekten Norm. Unter sozialkritischen Aspekt ist eine internationale Gleichstellung in vielerlei Hinsicht auch argwöhnisch zu betrachten. Machen Normen unser Leben einfacher oder werden wir in unserer Freiheit eingeschränkt? Warum muss denn immer alles gleich sein, wenn es doch so schön ist, anders zu sein? Entscheidungen alleine zu treffen und Dinge anders angehen – die Lebensweise vieler Querdenker.
Passend zu dieser Einstellung präsentiert sich die Summerhill School im englischen Leiston. Die Summerhill School wird wohl den Weltnormentag nicht mitfeiern. Die Summerhill School wurde 1969 als sogenannte Demokratische Schule gegründet. Das erste, was man mit diesem Konzept verbindet, ist Freiheit. Die Schüler an der Summerhill School müssen z.B. nicht den Unterricht besuchen. Es gibt auch keine festen Klassenstufen.

Summerhill, eine Subkultur ohne von außen aufgestellte Normen, Regeln und Vorschriften: Für manchen mag das nach anarchischen Zuständen klingen, aber das Konzept geht auf. Der Grund dafür schließt wiederum den Kreis. Auch Summerhill kommt nicht ohne Regeln aus, nur werden die Regeln von den Schülern selbst aufgestellt.

Grundsätzlich werden gesellschaftliche und soziale Normen insbesondere in der Schulzeit eines Kindes gefestigt, in der Summerhill School läuft dies etwas anders. Es ist den Kindern und Jugendlichen sogar freigestellt den Unterricht überhaupt zu besuchen. Regeln werden selbst aufgestellt und demokratisch debattiert. Sie können genauso schnell aufgebaut wie auch abgeschafft werden. Grundsätzlich gilt es aber natürlich den staatlichen Gesetzen zu folgen. Die wirtschaftlichen und sozialen Normen stehen bei dieser pädagogischen Form im Hintergrund und doch fehlt es den Schülern laut Erscheinungsbild nicht an Orientierung, Sicherheit und Struktur. So positiv Normen auch sein mögen und damit alle Blätter in einen Briefumschlag passen, dennoch sollten wir unsere Blickrichtung auch mal ändern und immer ein kleines Stück Freiheit im Herzen tragen.

Von Lea Bohlmann

Bildnachweis: Lea Bohlmann

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