Zwei Menschen, zwei Geschichten und ihr Kampf das eigene Leben zurückzugewinnen
Jeder Mensch hat Momente in seinem Leben, in denen er sich nur schwer für eine Sache oder Aufgabe motivieren lässt. Manchmal möchte man lieber etwas Zeit für sich haben, um zu entspannen und abzuschalten, anstatt mit Freunden auf Achse zu gehen. Das sind ganz normale Phasen, die jeder in seinem Alltag durchläuft.
Aber was ist, wenn Demotivation, Lustlosigkeit und Kontaktscheue anhalten? Wenn ein Bekannter oder ein Familienmitglied sich komplett zurückziehen und sich von allem und jedem abschotten? Wenn die Person nur noch ein Schatten ihrer selbst ist und du verzweifelt mit ansiehst, wie ihr Leben außer Kontrolle gerät. Maya und Neng ist genau das passiert.
Maya ist ein sehr gefühlvoller Mensch, sie ist die Freundlichkeit in Person und steht einem, egal in welcher Situation, immer zu Seite. Sie nimmt dich in den Arm, fühlt mit dir und stellt ihre eigenen Bedürfnisse hinten an.
Neng ist liebenswürdig, hilfsbereit und ein wahrer Sonnenschein, der mit seinem fröhlichen Lächeln andere ansteckt. Sein positiv gestimmtes Gemüt ist eine erfrischende Seltenheit in dieser Welt. Egal was für schlechte Situationen auf ihn zukamen, er tat sie mit einem Grinsen ab und ließ sich von negativen Nachrichten nicht beeinflussen.
Maya und Neng hatten ein glückliches Leben. Sie haben studiert und sich regelmäßig mit Freunden getroffen. Bis die Phase anfing, in der sie sich zurückzogen, den Kontakt zu anderen mieden und nicht mehr vor die Haustür gegangen sind.
Langsam schleicht sich die Depression an
Die psychische Erkrankung beruht meistens nicht nur auf einer Ursache oder einem einzigen Auslöser, sondern sie entwickelt sich aus mehreren unterschiedlichen Einflüssen. Bei Maya und Neng hat sich die Depression mit der Zeit und durch unterschiedliche Faktoren entwickelt. An ein sorgenloses Leben, ohne Depressionen und Panikattacken können sie sich nur noch wage erinnern.
Alles fing mit ein paar Problemen in der Familie an. Aber wer hat die nicht. Mit den voranschreitenden Semestern stieg der Leistungsdruck ihres Studiums. Dazu kamen finanzielle Probleme, denn beiden wurde das BAföG gestrichen. Bei Neng wurden mit der Zeit die scharfen Bemerkungen der Familie immer aggressiver. Seine Familie betreibt ein kleines Restaurant und seine Eltern möchten, dass er so viel wie möglich im Familienbetrieb aushilft – ohne Bezahlung.
Für Maya kamen Stress und ständige Streitereien mit ihrer Mitbewohnerin dazu. An einen Umzug war nicht zu denken. Für eine eigene Wohnung in Berlin fehlt ihr das Geld.
Plötzlich fanden sich beide in einer Situation wieder, in welcher sie dauerhaft unter Stress und Druck standen. Sie redeten sich ein, dass das Leben weitergehen würde und auch diese schlechte Phase vorüberziehe. Sie lachen mit Freunden und sehen auf den ersten Blick unbekümmert aus. Man sieht ihnen ihre Probleme nicht an.
Dass beide unter einer Depression leiden, erfahren sie selbst erst, als sie dem Teufelskreislauf nicht mehr aus eigener Kraft entkommen können.
Sie sind nicht die Einzigen
Immer mehr junge Erwachsene sind von psychischen Störungen betroffen. Der zunehmend starke Leistungsdruck sowie Zukunftsängste und die finanzielle Unsicherheit machen junge Menschen, besonders Studenten, anfällig dafür. Auch verzwickte Familiensituationen können unbewusst zu psychischen Erkrankungen führen.
Der Barmer Ärztereport von 2018 ergab, dass jeder sechste Student in Deutschland an einer psychischen Störung erkrankt ist. Darunter fallen Angststörungen, Depressionen und Panikattacken. Die Anzahl der diagnostizierten Depressionen bei jungen Erwachsenen im Alter von 18- bis 25-Jahren ist seit 2005 um 65% angestiegen.
Psychische Erkrankungen, wie Depressionen, können jeden treffen! Neben jungen Erwachsenen sind auch Rentner und alleinlebende ältere Menschen ab 65 Jahren betroffen. Im Vergleich zur Depression bei jüngeren Menschen beruht die Altersdepression auf Faktoren wie dem Verlust des Partners oder dem von engen Freunden sowie der Nachlass der körperlichen- und geistigen Leistungsfähigkeit. Neben der Demenz ist die Altersdepression die häufigste psychische Erkrankung im Alter.
Wenn man alleine nicht mehr weiterweiß
Die Tendenz der psychisch Erkrankten soll in den kommenden Jahren sogar noch weiter ansteigen. Hier ist für die Betroffenen besonders wichtig, dass ihnen eine frühe Diagnose gestellt wird und sie eine individuelle Behandlung bekommen. Wird ein Patient nicht rechtzeitig oder unangemessen behandelt, kann es zu suizidalem Verhalten der Person oder gar zum Suizid selbst führen.
Erste Anlaufstellen bei einem Verdacht auf eine psychische Erkrankung kann der Hausarzt oder ein Facharzt für Psychiatrie sein. Hausärzte überprüfen den Patienten bei einem diagnostischen Gespräch, ob die Ursache der Erkrankung am körperlichen Empfinden liegt. Eine Depression kann sich auch durch einen länger anhaltenden Krankheitsverlauf oder organische Ursachen, wie eine Schilddrüsenunterfunktion, entwickeln.
Je nach Diagnose hat der Hausarzt die Möglichkeit den Patienten an den richtigen Experten zu überweisen. Psychiater, Nervenärzte und Fachärzte für psychosomatische Medizin und Psychotherapie sind auf psychische Erkrankungen spezialisiert. Neben Psychologen und Fachärzten können sich Patienten aber auch Hilfe in einer Fachklinik holen. Dabei gibt es drei unterschiedliche Formen der Behandlung – die stationäre und teilstationäre Behandlung in Kliniken sowie die ambulante Behandlung.
Maya hat sich in Folge ihres Reizdarms in die Obhut einer psychologischen Betreuung begeben. Dies haben ihr mehrere Ärzte geraten, da ein Reizdarm sowohl physischer als auch psychischer Herkunft sein kann. Bei ihren therapeutischen Sitzungen stellte sich früh heraus, dass sie nicht nur an einem Reizdarm leidet, sondern auch an einer Depression. Dies war für Maya zunächst ein Schock, erklärte ihr aber auch ihr eigenes Verhalten der letzten Monate.
„Ich habe mich von meinen Freunden zurückgezogen, bin nicht mehr raus gegangen und nicht aus dem Bett gekommen. An spontane Verabredungen mit meinen Mädels war nicht mehr zu denken. Alleine der Gedanke, mich in die Öffis setzen zu müssen, löste bei mir Bauchschmerzen und Panikanfälle aus.“
Während Maya unter anderem mit Panikattacken zu kämpfen hat, wurde bei Neng eine Bipolare Störung diagnostiziert. Bei einer Bipolaren Erkrankung haben die Betroffenen sowohl manische als auch depressive Stimmungsschwankungen. Für eine Zeit lang haben sie die Manie, welche sich als ein übersteigertes Hochgefühl darstellt. Viele Patienten sind in dieser Phase meist überaktiv und euphorisch aber auch sehr schnell gereizt. Sie haben das Gefühl, dass sie eine Glückssträhne haben und ihnen alles gelingt, was sie sich vornehmen. Sie schweben sozusagen auf „Wolke Sieben“ der Glücksgefühle. Anschließend an die Manie folgt eine mehr oder weniger ausgeprägte Depression. Die Betroffenen versinken dann in ein Loch aus Traurig- und Antriebslosigkeit sowie einer anhaltenden gedrückten Stimmung. Jedoch ist jeder Patient individuell und nicht auf jeden treffen alle typischen Merkmale zu.
„Ich fürchte mich vor meinen eigenen Gedanken. Meine Freunde möchte ich damit nicht belasten. Ich will nicht, dass es sie mit in den Abgrund reißt.“
Neng ließ sich kurz nach seinem Geburtstag in eine geschlossene Anstalt einweisen. Zuvor versuchte er bei mehreren Psychiatern einen Behandlungsplatz zu bekommen – Ohne Erfolg. Eine geschlossene Anstalt war für ihn die letzte Notlösung. Dort verbrachte er drei Wochen.
„Morgens fanden individuelle Patientengespräche oder Gruppensitzungen statt, nachmittags unterschiedliche Behandlungstherapien mit Musik und Kunst. Eigentlich saß ich da auch nur den ganzen Tag in irgendeiner Ecke rum. So richtig gebracht hat das alles nichts“.
Neng wollte der Therapie noch eine Chance geben und ließ sich in die Tagesklinik der Anstalt einschreiben. Seither fährt er jeden Morgen zu acht Uhr in die Klinik und verbringt den Tag dort.
„Ich gehe in die Tagesklinik, weil ich nicht weiß, was ich mit mir selbst anfangen soll. Fortschritte sehe ich keine in der Behandlung Vorort. Ich hoffe, dass die Antidepressiva etwas bringen werden.“
Einige Patienten gehen davon aus, dass Therapien oder Medikationen sofort Wirkung zeigen. Ist keine schnelle Besserung in Sicht, fangen Patienten an, die Behandlungsmaßnahmen infrage zu stellen. Manche zweifeln sogar ihre psychische Erkrankung an. Die Behandlung benötigt jedoch Zeit und ist kein schneller Prozess. Maya geht jede Woche seit einem halben Jahr zu ihren Sitzungen. Sie selbst sieht wenig bis gar keine Fortschritte.
„Mir fällt es, trotz aktiver Behandlung, besonders morgens schwerer die Motivation für den Tag zu finden.“
Ihre Familie und Freunde hingegen sehen bereits erste Erfolge. Maya trifft sich wieder regelmäßig mit ihnen, antwortet auch auf Nachrichten und ist sogar für spontane Aktionen zu begeistern.
Fünf einfache Mittel, psychischen Erkrankungen vorzubeugen
Ist die Menschheit dazu verdammt, an psychischen Störungen zu erkranken oder gibt es Präventionsmaßnahmen? Ja, es gibt welche! Auf den ersten Blick wirken sie simpel. Jedoch ist es nicht immer einfach, sie einzuhalten.
Auch Krankenkassen bemerken, dass man frühzeitig gegen Depressionen angehen muss. Im Jahr 2015 hat die Barmer ein Online-Training, das Pro Mind, veröffentlicht. Dieses Training soll das Risiko an einer Depression zu erkranken verringern. Es soll auch Betroffenen mit leichter Depression helfen, wenn sie vorerst keinen psychotherapeutischen Platz bekommen haben.
Mit bereits fünf einfachen Mitteln und Wegen kannst auch du aktiv einer Depression vorbeugen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Maßnahmen immer erfolgreich sind.
1. Fit durch den Alltag
Eine positive Lebenseinstellung hilft nicht nur Depressionen vorzubeugen, sie ist zusammen mit einer ausgewogenen Ernährung auch bestens dafür geeignet dich fit und gesund zu halten. Sportliche Aktivitäten steigern das Wohlbefinden von Körper und Geist. Das heißt jetzt nicht, dass du jeden Tag Sport machen muss. Es reichen bereits kleine Veränderungen, wie eine Station früher auszusteigen und den Rest der Strecke zu Fuß zu gehen oder Entspannungsübungen vor dem Schlafengehen zu machen.
2. Schlafen = Erholung
Achte auf deine Schlafgewohnheiten, denn geregelte Schlafenszeiten und ein erholsamer Schlafplatz sind die Fundamente deines Gedächtnisses. Zudem wirken sie sich auch positiv auf deine Stimmung aus. Wenn du zu wenig schläfst, fühlst du dich ausgelaugt und bist über den Tag hinweg weniger produktiv.
3. Sich selbst belohnen
Eine weitere Form deinen Körper und Geist vor psychischen Erkrankungen zu schützten, ist das Relaxen. Gönn dir öfters Ruhe und Entspannung! Dazu zählen kleine Belohnungen, wie ein Gläschen Wein am Abend, ein wohltuendes Bad oder sich sein Lieblingsessen zuzubereiten. Yoga und Meditationsübungen sind besonders effektiv, um dich zu entspannen und dir beim Abschalten zu helfen.
4. Hobbys und andere Aktivitäten
Was macht dir Spaß? Geh Aktivitäten nach, die du gerne machst und genießen kannst. Egal ob mit Freunden, der Familie, einem Haustier oder allein – deine Hobbys solltest du auf keinen Fall vernachlässigen.
5. Halte Kontakt
Genauso wichtig ist die Pflege zu deinen Kontakten. Es kommt dabei nicht darauf an mit so vielen Bekannten wie möglich in Kontakt zu bleiben, sondern mit deinen engsten Freunden regelmäßig zu interagieren. Wer tut dir gut und wer eher weniger? Besonders in stressigen Phasen und angespannten Situationen solltest du dich mit den richtigen Freunden umgeben.
Für depressive Patienten ist es alles andere als einfach, sich an diese Kleinigkeiten zu halten. Bei einer Verhaltenstherapie, wie sie Maya macht, werden den Betroffenen Methoden und Praktiken vermittelt, damit sie lernen, wie sie mit psychischen Erkrankungen und seelischen Problemen besser umgehen können.
„Es wird langsam wieder einfacher mit den Öffis zu fahren. Aber nicht immer. Das eine Mal habe ich auf dem Weg zur Therapie eine so starke Panikattacke bekommen, dass ich komplett aufgelöst bei meiner Therapeutin aufgeschlagen bin. Ich konnte mich einfach nicht mehr beruhigen, habe gezittert und geweint.“
Seither belohnt sich Maya am Tag der Therapie mit einer Flasche ihres Lieblingseistees. Nach den Sitzungen fühlt sie sich meistens auch so gut, dass sie sich ihre Sportsachen mitnimmt und auf dem Rückweg ins Fitnessstudio geht.
„Ich habe angefangen mich mit Kleinigkeiten zu belohnen. Egal wie banal sie sind, sie motivieren mich und machen mich glücklich.“
Neng fällt es schwierig sich zu belohnen. „Das ist keine Depression, das ist reine Faulheit, nichts weiter.“ Obwohl er seine Krankheit leugnet, fährt er täglich knapp zwei Stunden zu der Tagesklinik. Unterbewusst weiß er, dass er sich ändern und sein altes Leben zurückhaben möchte. Auch er macht bereits erste Fortschritte mit seiner Behandlung. Er meldet sich öfters bei seinen Freunden und lässt sich auf kurze Treffen ein.
Maya und Neng haben in ihrem jungen Leben bereits heftige Rückschläge erlitten. Mit gerade einmal 24 Jahren durchleben beide eine Depression. Sie haben sich professionelle Hilfe gesucht, da an ein normales Leben nicht mehr zu denken war. Beide wissen nicht, ob sie ihr Studium wieder aufnehmen werden oder sie sich etwas komplett Neues suchen. Ihre finanzielle Notlage drängt beide eher in die Richtung einer Ausbildung. Jedoch stecken sie noch zu sehr im Teufelskreislauf fest, um sich einen Job zu suchen.
Das momentane Leben von Maya und Neng ist alles andere als einfach. Dennoch lassen sie sich nicht unterkriegen. „Ich will nicht den ganzen Tag zu Hause sitzen und die Welt an mir vorbeistreichen lassen. Ich bin jung und habe noch so viel vor mir, das lasse ich mir nicht von einer Depression kaputt machen!“
Von Alina Pfänder
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