Kameratechnik made in Germany: Wie Phönix aus der Asche

Der Kamera-Hersteller Leica war fast tot. Dann kam ein ehemaliger Waldorf-Lehrer und rettete das Unternehmen. Heute erstrahlt das Traditionshaus in neuem Glanz – genau wie seine neue Firmenzentrale.

Ein Freitag im Mai 2014. Viele sind gekommen, ins beschauliche Städtchen Wetzlar in Mittelhessen an der Lahn: Kunden, Politiker, Pressevertreter und nicht zuletzt Fotografen aus der ganzen Welt. Darunter so prominente Namen wie der Magnum Fotograf Thomas Höpker. Sie alle sind gekommen um dem neuen Mekka aller Fotografie-Enthusiasten zu huldigen: dem frisch eingeweihten Leitz-Park. Benannt nach Ernst Leitz, dem Gründer des Unternehmens Leitz aus dem später Leica hervorgehen sollte.

Mit dem neuen Hauptsitz setzt das Unternehmen einen weiteren Meilenstein in seiner so langen und erfolgreichen Firmengeschichte. Der Campus ist bei weitem nicht nur Fertigungs- und Verwaltungskomplex. Ganz im Gegenteil: er ist eine Art interaktives Museum, das es Interessierten ermöglicht einen Blick in die Geschichte der Leica Camera AG zu werfen, die legändere Manufaktur zu erkunden und in immer wechselnden Ausstellungen den Mythos Leica hautnah zu erleben.

Dabei hat die Eröffnung starken symbolischen Charakter. Zum einen kehrt das Unternehmen nach vielen Jahren aus der Nachbarstadt Solms wieder an den Ort seiner Gründung und somit zu seinen Wurzeln zurück. Zum anderen markiert das Jahr 2014 das 100-jährige Jubiläum der Leica. Denn im Sommer 1914 entwickelte Oskar Barnack die erste Kleinbildkamera für 35mm-Filme, die die Fotografie für immer verändern sollte und somit auch das Fundament für den späteren Erfolg des Unternehmens legte. Mit dem Komplex zementiert das Traditionshaus damit auch seine wiedergewonnene Vormachtstellung innerhalb der Branche. Er soll aller Welt zeigen, dass das Unternehmen wieder genau dort ist, wo es aus seinem Selbstverständnis heraus immer hingehört hat: im Rampenlicht der internationalen Kamera-Szene.

Totgesagte leben länger

Denn das war nicht immer so. Kurz nach der Jahrtausendwende stand das Unternehmen vor dem Aus. Leica hatte die Digitalisierung der Fotografie verschlafen und musste zusehen wie konkurrierende Hersteller – allen voran asiatische Anbieter wie Canon und Nikon – vorbeiziehen. Der Umsatz sackte auf 92 Millionen Euro ab, der Verlust betrug 18 Millionen Euro.

Das kam nicht von ungefähr, sondern aus einer unternehmensinternen Arroganz heraus, mit der man sich mit allen Mitteln gegen den digitalen Wandel sträubte. So war Ralf Coenen, damaliger Vorstandsvorsitzender von Leica, noch 2004 der Überzeugung, dass „Digitaltechnik nur ein Intermezzo“ sei und es auch in 20 Jahren noch den Film gebe. Auch den damals schon zeitgemäßen Autofokus lehnte das Unternehmen per se ab. Die Ablehnung der digitalen Fotografie ging sogar so weit, dass sich Leica-Vertreter auf der Photokina in Köln Sticker mit dem Schriftzug „Ich bin ein Filmdinosaurier“ ans Sakko hefteten. Diese Attitude erinnert sehr an den ehemaligen Nokia-Sprecher Kari Tuuti, der noch 2007 in einem Spiegel-Interview behauptete, dass Apple wohl kaum eine ernstzunehmende Gefahr für die Finnen darstellen würde. Wohin Nokia diese Überheblichkeit gebracht hat und wo Apple heute steht, muss an dieser Stelle wohl nicht weiter ausgeführt werden.

Unzählige Leica-Fotografien der letzten Jahrzehnte haben im Leitz-Park ein Zuhause gefunden. 

Auch Leica fuhr nicht gut mit der Strategie. 2005 schließlich der Tiefpunkt. Damals „war das Unternehmen fast zahlungsunfähig“, wie der heutige Aufsichtsratsvorsitzende Andreas Kaufmann resümiert. Doch wie schlimm es um das Unternehmen wirklich bestellt war, habe man „erst im Laufe der Zeit gemerkt“. Er war es auch der Leica aus der Krise führte. Hätte er 2004 nicht die knapp 40 Prozent der Anteile des französischen Luxus-Herstellers Hermès übernommen, gebe es das Unternehmen vermutlich heute nicht mehr. Und die Welt der Fotografie wäre um eine ihrer traditionsreichsten Marken ärmer.

Dass Kaufmann überhaupt in das Unternehmen einsteigen konnte, verdankt er einem, gelinde gesagt, glücklichen Umstand. Denn als seine Tante, die Inhaberin des Papierkonzerns Frantschach 1998 starb, erbten er und seine Brüder angeblich mehr als 1,5 Milliarden Euro. Genau kommentieren will Kaufmann diese Zahl bis heute nicht. Die genaue Höhe der Summe ist jedoch auch völlig irrelevant. Denn was Kaufmann in der Folge mit dem Geld anstellte, war entscheidend für den heutigen Erfolg Leicas.

Radikal räumte er innerhalb des Unternehmens auf: das Management wurde ausgetauscht, das Grundkapital aufgestockt und jede Menge Geld in die Entwicklung gesteckt – zwischenzeitlich rund 12 Prozent des Umsatzes. Auch heute sind es noch an die elf Millionen Euro. Das zahlte sich aus. Im wahrsten Sinne des Wortes. 2009, fünf Jahre nach Kaufmanns Einstieg, hatte Leica seine gesamte Produktpalette überarbeitet und konnte gleich drei neue Modellreihen auf den Markt bringen. Das wirkte sich auch auf den Umsatz aus. Bereits 2010 schrieb das Unternehmen wieder schwarze Zahlen. 2016 wurden 365 Millionen Euro erwirtschaftet. Tendenz steigend. Noch vor gut zehn Jahren hätte sich das kaum jemand erträumen lassen – am wenigsten die Verantwortlichen im Leica-Vorstand.

Wie ein Kuss

Dass sich die Kameras wieder so gut verkaufen ist bei den zugegebenermaßen astronomisch anmutenden Preisen keine Selbstverständlichkeit. Die digitale Leica „M Monochrom“ etwa, die ausschließlich schwarz-weiß Fotos schießt, kostet 7.200 Euro. Und das ohne Objektiv. Zum Vergleich: für das gehobene Segment einer Canon muss man rund 3.500 Euro hinblättern. Das ist nichts für jedermann. Das weiß auch Kaufmann: „Wer kauft einen Porsche, wo es auch einen Hyundai gibt? Wer sich auskennt, der weiß, wie Leica seine Objektive baut.“ Für die anderen sei es „eh wurscht“. Denn für Kaufmann ist „das Einfangen des Lichtes weiterhin eine große Kunst.“ Das rechtfertige auch den Preis. Für jemanden, der sich entscheidet eine Leica zu kaufen, ist Fotografieren eben mehr als nur auf den Auslöser zu drücken. Die Bereitschaft zunehmend mehr Geld für Kameras auszugeben ist jedoch nicht exklusiv für Leica-Kunden. Denn: „Der Anteil der hochpreisig verkauften Kameras nimmt zu. Und auch der Durchschnittspreis geht nach oben“, so Constanze Claußen vom Deutschen Photoindustrie-Verband.

Was Leica dabei zusätzlich in die Karten spielt, ist der Mythos, der das Unternehmen umgibt. Denn Leica ist nicht nur ein Kamera-Hersteller. Leica ist eine Marke, die bis ins Jahr 1869 zurückdatiert. Schaut man sich nur einmal die ikonischen Fotografien der letzten 100 Jahre an, führt an der Marke mit dem roten Punkt kein Weg vorbei. Che Guevara wie er mit der zu seinem Markenzeichen gewordenen Mütze in die Ferne schaut; der Matrose, der eine Krankenschwester auf dem New Yorker Times Square küsst oder das nackte Mädchen, das vor einer Napalm-Wolke in Vietnam davon läuft. All diese Aufnahmen sind unwiderruflich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt. Und alle wurden sie mit einer Leica aufgenommen.

Nick Uts „Napalm Girl“: Eines der einflussreichsten Fotos des vergangenen Jahrhunderts.

Dabei ist Leica Statussymbol und zeitloses Accessoire zugleich. Das wissen auch Kunden wie der mittlerweile verstorbene David Bowie, Brad Pitt und sogar die Queen von England zu schätzen. Wer eine Leica um den Hals trägt, der grenzt sich damit auch bewusst von all jenen ab, die wahllos und scheinbar ohne jegliches Gefühl für das Motiv Bilder mit ihrem Smartphone schießen. Viel mehr haben viele der „Leica-Jünger“ eine sehr romantische Vorstellung von der Beziehung zwischen der Kamera und ihnen selbst. Der weltberühmte Fotograf Henri Cartier-Bresson sagte über seine Leica M3 einst sogar sie sei wie ein „großer, heißer Kuss“.

Kompass auf Kooperation

Damit diese Leidenschaft weiterhin erlebbar gemacht werden kann, tüftelt Leica fleißig an der Zukunft. Im Zentrum stehen neue Partnerschaften – vor allem mit internationalen Partnern. So kaufte etwa das Private-Equity-Haus Blackstone Kaufmann 2012 45 Prozent seiner Anteile ab. Für 140 Millionen Euro. Dafür gab es nicht nur Zuspruch. Nicht umsonst werden Private-Equity-Gesellschaften oftmals als Heuschrecken bezeichnet, die sich in Firmen einkaufen, ihnen den Kaufpreis als Schulden aufbürden und sie anschließend mit horrenden Renditeerwartungen überziehen. Doch Kaufmann verhandelte gut. Er behielt die Mehrheitsanteile, Blackstone finanzierte den Kaufpreis allein mit Eigenkapital und verpflichtete sich dazu auf eine längerfristige Zusammenarbeit von „fünf bis zehn Jahren“, wie Blackstone-Deutschland-Chef Axel Herberg versicherte. All das ist bei solchen Deals alles andere als gewöhnlich. Was auch wieder zeigt, welch enormes wirtschaftliches Potenzial in Leica gesehen wird.

2016 folgte der nächste logische Schritt. Dank der Kooperation mit dem chinesischen Telekommunikationsausrüster Huawei, kann Leica Fuß auf dem Smartphone-Markt fassen und gleichzeitig seine Präsenz in Asien verstärken. Von der Zusammenarbeit erhofft man sich bei Leica eine „enge Zusammenarbeit im Bereich Optical Engineering sowie die gemeinsame Entwicklung innovativer Lösungen, um das bestmögliche Bildergebnis im Segment der Smartphone-Fotografie zu erzielen“. Dazu bauen Leica und Huawei in Wetzlar ein eigenes Forschungslabor auf, in dem rund 50 Ingenieure an der Zukunft der Smartphone-Fotografie arbeiten.

Um Kapital aus den neuen Kooperationen zu schlagen, will das Unternehmen in Zukunft auch selbst am Ende der Wertschöpfungskette stehen und in exklusiven Läden seine Produkte vertreiben. So werden zum einen Händler umgangen. Zum anderen die optische Präsenz in Metropolen verstärkt. Das Fundament dafür ist gelegt. 150 Läden gibt es bereits – von Berlin bis Shanghai. 300 sollen es einmal werden. Wenn Leica – mit Kaufmann als Kapitän – den Kurs der letzten gut zehn Jahre so konsequent weiter fährt, ist eines sicher: Dass sich mehr und mehr Menschen auf der ganzen Welt mit dem „Leica-Virus“, wie Kaufmann ihn nennt, infizieren und für die große Kamerakunst der Marke mit dem kleinen roten Punkt begeistern werden.

Von Maximilian Haag

Bildnachweise:

Titelbild: Oliver Richter, Leica Camera AG.

Ausstellung im Leitz-Park: Oliver Richter, Leica Camera AG.

Nick Ut, Napalm Girl: manhai via flickr.com unter CC.

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