Wer hat die Macht im Internet? Kleine, dezentrale Gruppen oder die großen Organisationen und Regierungen, die alles beherrschen und dann nach eigenem Gusto mit ihrem Besitz umgehen. Bruce Schneier stellt in seinem lesenswerten Artikel The Battle for der Power on the Internet spannende Überlegungen an und zieht Vergleiche zu den großen Entwicklungslinien abendländischer Geschichte.
Das Internet ist tatsächlich eine disruptive Innovation: Es hat die Spielregeln verändert, was Wahlentscheidungen und politische Information, was Kaufverhalten und Preistransparenz, was Musik, Filme und Medien angeht und natürlich was die Kommunikation untereinander betrifft. Dennoch: das Internet ist heute weniger frei als in den 1990er Jahren.
Wir lagern unsere Daten in Cloud-Services aus, bei denen wir keine Kontrolle darüber haben, ob diese Daten vertraulich und auch dauerhaft verfügbar bleiben (zumeist sind es ja kostenfreie Services ohne jedwede garantierte Gegenleistung). Die Geräte, mit denen wir auf die Daten zu greifen, werden proprietärer, wie man speziell am Apple-Ökosystem sehen kann.
Schneier nennt diese Entwicklung Feudal-Computing: Kunden liefern Daten, die Unternehmen bieten Leistungen, das erinnert stark an die Leibeigenschaft im Mittelalter: „Lords offered protection, and vassals offered service (…) Feudal security consolidates power in the hands of the few. Internet companies, like lords before them, act in their own self-interest.“
Auch die Regierungen erlangen mehr Macht im Internet, vor allem jenseits des Großen Teichs, wie man beim NSA-Skandal beobachten konnte. Regierungen (der König) gehen zu ihren Lords (Google, Amazon, Apple, PayPal, Facebook etc.) und verlangen Pflichterfüllung, d.h.: Herausgabe von privaten Daten unter dem Deckmantel, so die nationale Sicherheit zu schützen.
Schneier nennt das Public-Private Surveillance Partnership: Industrie und Regierung, Wirtschaft und Politik profitieren gegenseitig von der flächendeckenden Überwachung. Die einen verdienen damit noch mehr Geld, die anderen haben damit noch mehr Macht.
Auch der Faktor Zeit ist spannend. Kleine Gruppen von „Räuberbanden“ (Hacker, politische Dissidenten, Fetisch-Anhänger etc.) haben sich sehr schnell und sehr früh des Internets bedient, um sich zu organisieren. So entstanden (illegale) Filesharing-Dienste, so entstanden Foren und Zirkel, in denen illegale Dinge besprochen und geplant werden konnten. So entstanden aber auch Revolutionen im arabischen Frühling.
Mit der Zeit aber, haben die großen Organisationen aus Politik, Wirtschaft und Interessensverbänden das Internet für sich entdeckt und sie kommen zwar spät, dafür aber mit deutlich mehr Macht. Schneier erläutert dies am Beispiel des Bürgerkriegs in Syrien: Zunächst hatten die Dissidenten die Möglichkeit, sich über Internet-Dienste wie Facebook schnell und effizient zu organisieren. Jetzt aber schlägt die Regierung zurück und nutzt die Facebook-Profile, um Dissidenten zu entdecken und diese zu verhaften oder zu eliminieren.
Zwischen dezentralen, verteilten Kräften (die „Guten“ – wie bei Grassroots, politischen Dissidenten, etc. aber auch die „Bösen“) und der institutionalisierten Macht der großen Unternehmen, Staaten und Organisationen liegen momentan die Institutionwen vorne. Ohne Facebook, Google, Amazon, Apple etc. ist heute für die weitaus größten Teile der Internet-Nutzer Internet gar nicht mehr vorstellbar.
Doch das ist eine Momentaufnahme. Vielleicht gelingt es digitalen Robin Hoods, die Vormacht der Lords immer wieder temporär in Frage zu stellen, um Dynamik im Prozess zu halten. Es ist der Kampf „Schnell gegen Stark“. Und hier stellt sich am Rande industriepolitisch die Frage: Was tut eigentlich Deutschland, um schnelle Unternehmen zu unterstützen, damit es vielleicht gelingt, die Vormachtstellung der USA wenigstens perspektivisch zu relativieren…
Wer wird gewinnen, Robin Hood oder die Lords? Und was passiert, wenn die Lords untereinander Krieg führen? Die geschichtliche Erfahrung lehrt: Wenn sich zwei Mächte streiten, leidet vor allem das Fußvolk. Schneier hat verständlicherweise keine Lösung für diese Konflikte parat.
Was Schneier aber rät, um die Auswirkungen dieser Machtkämpfe abzumildern, ist die stärkere Regulierung von Unternehmen und Regierungen hinsichtlich Transparenz. Schneier zieht hier den Vergleich zur Magna Charta, die grundsätzlich das Verhältnis zwischen den Lords, deren Rechte aber auch deren Pflichten gegenüber den Vasallen festlegte und als Grundlage der englischen und der US-amerikanischen Verfassung dient…
Von Thomas Becker
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