Nicht jede einfache Frage, kann man einfach beantworten, man erinnere sich nur an das bekannte Henne-Ei-Problem, das uns in verschiedenen Konstellationen lebenslang begleitet. Aber es gibt auch einfache Fragen, auf die man einfache Antworten geben können sollte. Z.B. wenn man jemand nach seiner Profession fragt. Ein Arzt weiß, was Medizin ist und kann das Fachgebiet Medizin schlicht in einem Satz zusammenfassen, etwa als vorbeugen, erkennen und behandeln von Krankheiten.
Fragt man dagegen einen Journalisten danach, was Journalismus sei, erhält man erstaunlich viele und unterschiedliche Aussagen. So erging es jedenfalls mir, was ich darauf zurückführe, dass Journalisten in Deutschland oft nicht professionell ausgebildet werden (wie z.B. in den USA), sondern meist durch reines learning by doing zu Journalisten werden.
Reicht Anwendungshandeln aus, um eine Profession zu begründen?
Learning by doing ist dabei natürlich nicht per se ein Problem. Wir lernen extrem viele Sachen durch das Ausführen der Aufgaben, Autofahren z.B. Aber dennoch brauchen wir eine Vorstellung, wie Verkehr funktioniert, um unser Anwendungshandeln passend zu machen. Autofahren im Sinne der Aufgabe, ein Auto fortzubewegen, ist offensichtlich unterschiedlich zu konkreten Aufgabe: Autofahren im deutschen Straßenverkehr mit vielen Schildern, Regeln und „ungeschriebenen“ Gesetzen wie Rücksicht. Den Unterschied zwischen Autofahren und Autofahren in Deutschland erlebt man schnell bei einer Reise nach Afrika oder Südostasien.
Angesprochen ist mit diesem Beispiel der Umstand, dass man natürlich journalistisch handeln kann, ohne Ausbildung und ohne theoretische Konzepte. Aber dies führt wenn überhaupt nur zufällig zu hoher journalistischer Qualität. Man kann sich auch bei einem Arzt therapeutische Maßnahmen wie einen kleinen operativen Eingriff abschauen und nachahmen. Trotzdem ist man dadurch noch kein Arzt.
Zirkelschluss: Journalismus ist das, was Journalisten tun
Dies führt mich wieder zur Ausgangsfrage: Was ist Journalismus? Im deutschen Sprachraum erhält man dazu oft eine Antwort im Sinne von, Journalismus sei die Tätigkeit, die Journalisten ausüben. Daran schließt sich die Frage an, was ein Journalist ist und hier erhält man wiederum schnell die branchenübliche Beschreibung: ein Journalist ist jemand, der sein Geld mit Journalismus verdient. Dies ist ein durchaus bezeichnender Versuch, die Kompetenz der „Welterklärer“ zu hinterfragen. Journalismus ist das, was Journalisten machen, die diejenigen sind, die vom Journalismus leben. Medizin ist das, was diejenigen machen, die damit ihr Geld verdienen. Ohne Worte.
Auflösung: Journalismus ist das Sammeln, Verarbeiten und Verbreiten von Nachrichten
Dabei gibt es weltweit gesehen eigentlich einen sehr klaren Konsens über die Definition von Journalismus. Journalismus ist das Sammeln, Verarbeiten und Verbreiten von Nachrichten und Fakten für ein Publikum.
Dies ist eine äußerst notwendige Sache für die Gesellschaft, denn ohne diese Funktion des Journalismus könnten moderne Demokratien nicht existieren. „The purpose of journalism is thus to provide citizens with the information they need to make the best possible decisions about their lives, their communities, their societies, and their governments” (Quelle: American Press Institute). Oder noch einfacher formuliert: journalism is the craft that provides the lifeblood of a free, democratic society (Quelle: Robert G. Kaiser: The Bad News about the News).
Schaut man sich diese generische Definition im Einzelnen an, kann man sehr einfach und klar den journalistischen Prozess beschreiben.
Ein Impuls startet den journalistischen Prozess
Alles beginnt mit einem Impuls, der außerhalb der eigentlichen journalistischen Tätigkeit liegt. Ein solcher Impuls kann ein Ereignis sein (Unfall, Tod, Sieg, Niederlage etc.), eine Idee oder ähnliches.
Recherche: Vom Impuls aus schnell den Überblick gewinnen
Aus diesem Impuls heraus beginnt der journalistische Prozess mit der Tätigkeit der Faktensammlung, die wir im deutschen Sprachraum als Recherche bezeichnen. Recherche meint die gezielte und strukturierte (also nicht zufällige) Suche nach Daten und Fakten. Die Recherche vergrößert damit bildlich gesprochen den Kenntnisstand des Journalisten – von einem einzelnen Aspekt hin zu einem Überblick. Die Recherche ist eine Art umgedrehter Trichter.
Auf Basis der Recherche kann die Idee zu einem journalistischen Produkt entstehen, das, was man auch Essenz, Kernaussage oder simpel die zentrale Idee der Geschichte nennen kann. Dies ist das eigentliche Herzstück des Journalismus, dessen gesellschaftliche Funktion man als das Herunterbrechen komplexer Zusammenhänge auf verständliche Kernaussagen beschreiben kann. Der Journalist übernimmt für sein Publikum die Aufgabe, sich in ein Thema einzuarbeiten (zu recherchieren), die relevanten Informationen zu filtern und zu entscheiden, wie er aus dem großen Thema eine kleine, aber spannende oder nützliche Geschichte macht.
Produktion: Aus allen Möglichkeiten die richtige wählen und richtig anwenden
Ist dieser rote Faden gefunden, verengt sich der Trichter im Prozess der Produktion wieder und endet in letzter Konsequenz bei der Ausgestaltung des zentralen Aufhängers: des Titels, der Überschrift und der Eröffnungssequenz. Dies ist im Einzelfall abhängig, welches journalistische Format man wählt: Nachricht oder Geschichte.
Eine Nachricht sollte üblicherweise im Nachrichtenstil erzählt werden, d.h. man beginnt mit den relevanten Fakten – den fünf W-Fragen wer, was, wann, wo und warum – und verteilt diese auf Überschrift (headline oder im Journo-Lingo der hed), Untertitel oder Dachzeile (deck oder der dek) und die Einleitung (lead oder der led). Danach bringt man in absteigender Relevanz weitere Fakten im eigentlichen Text (body) und ergänzt diese ggf. um weiterführende Hinweise (tail).
Eine Geschichte (Reportage, Dokumentation, Feature) erzählt einen Sachverhalt nach dramaturgischen Regeln und ist daher deutlich freier angelegt. Damit dennoch schnell einzuordnen ist, worum es geht, verwendet man bei Geschichten häufig einen sogenannten nut graph (bzw. in Journo-Schreibe: nutgraf), also einen Absatz (paragraph), der das Wesentliche (nutshell) der Geschichte hinsichtlich seines Nachrichtenwerts für den Nutzer darstellt.
Veröffentlichung: Passung an das Medium und das Publikum
Egal ob Nachricht oder Geschichte: Beides ist erst dann Journalismus, wenn es das Licht der Öffentlichkeit erblickt, also gelesen, gesehen oder gehört wird. Deshalb gehört zum journalistischen Prozess zentral die Verbreitung des nach journalistischen Regeln erstellten Inhalts. Nur ein Stück, das tatsächlich wahrgenommen wird, ist ein journalistisches Produkt. Ansonsten verbleibt es eine journalistische Fingerübung. Und hier entsteht letztlich die Passung an das gewählte Medium und das angesprochene Publikum. Es macht eben einen großen Unterschied, ob ich einen Bericht für die Bild-Zeitung oder die FAZ, den WDR oder RTL erstelle.
Nur was gelesen, gehört, gesehen wird, ist öffentlich – und damit ein journalistisches Produkt
Der journalistische Prozess endet nicht bei der Veröffentlichung, sondern bei der Frage, wie Nutzer mit dem Inhalt umgehen, also ob sie ihn lesen, bewerten, kommentieren, weiterverbreiten, darüber sprechen etc. Dieses Feedback dient zugleich als wichtige Quelle für neue Impulse, die den journalistischen Prozess erneut initiieren.
Von Thomas Becker
Bildnachweis: Von Thomas Schmidt (NetAction) [CC BY-SA 3.0] via Wikimedia Commons