Straßen aus Zucker: Wie Menschen auf der Straße politische Haltung zeigen

„Hallo mein Name ist Lars, ich bin obdachlos und würde mich freuen, wenn Sie mir mit einer kleinen Spende aushelfen könnten.“ Diesen Satz hat man schon unzählige Male in Berliner U-Bahnen gehört. Täglich versuchen Wohnungslose so genug Geld für Essen oder einen Schlafplatz zu sammeln und dadurch über die Runden zu kommen. Soweit nichts Neues, doch überraschend war, was Lars danach sagte: „Außerdem verkaufe ich die neue Zeitung ‚Straßen aus Zucker‘, falls jemand Interesse hat.“ Straßen aus Zucker? Nicht die gute alte Zeitung „Motz“ oder der allseits beliebte „Straßenfeger“?

Neu, unkonventionell, authentisch

„Wir wollen die Freiheit der Welt und Straßen aus Zucker“, Songtextauszug der deutschen Elektropunkband „Frittenbude“, ist einer der ersten Sätze, die man auf der Internetseite von „Straßen aus Zucker“ findet. Liest man weiter wird klar, was damit gemeint ist. Die neue Zeitung beschreibt sich als antinational, kritisch und legt ihren Schwerpunkt auf die Themen Alltag, politisches Handeln, Kommunismus und Realsozialismus. Gegründet wurde das Zeitungsprojekt von verschiedenen Berliner Gruppen.

Politisch ordnet sich das Blatt als radikal links ein- ein Ausdruck der erst einmal Angst macht, der ein oder andere wird sogar Bilder von gewalttätigen Demonstrationen vor Augen haben. Tim, ein Autor des Magazins, schafft ein ganz anderes Bild, „Wir wollen einen freundlichen, nicht angstmachenden Zugang zu Politik schaffen“. Er formuliert aber auch ganz klar seine Hoffnung für die Zukunft: „Ich will die Revolution. Ich möchte, dass diese Gesellschaft aus vielen Gründen eine ganz andere wird und zwar radikal“. Obwohl diese Worte durchschlagend sind, Straßen aus Zucker zeigt: Radikal heißt nicht immer gleich brutal.

Auch Themen der Gesellschaft sind wichtig

Nicht nur politische, auch gesellschaftliche Inhalte machen einen großen Teil der Ausgaben aus. Straßen aus Zucker versucht mit Vorurteilen und Schubladendenken aufzuräumen. Die Gleichstellung von Männern und Frauen und die Integration von Flüchtlingen sind dabei immer wiederkehrende Themen, denn dem Team von Straßen aus Zucker ist es wichtig, dass niemand in eine Nische gesteckt wird.

Obwohl die Autoren der Texte deutliche Ziele haben und ihre Meinung klar formulieren, wird in der ersten Ausgabe klargestellt: „Die Texte dieses Heftes geben nur die Meinung der jeweiligen Autor_innen wieder. Die Verteiler_innen des Heftes sind nicht mit den Macher_innen identisch“. So möchte sich Straßen aus Zucker davon entfernen, seine Denkweise drastisch verbreiten zu wollen und die Meinungsfreiheit anderer nicht zu respektieren. „In der Politik hat man oft das Gefühl, da möchte jemand über mich verfügen, das wollen wir vermeiden.“, bestätigt auch Tim.

Größer als man denkt

Obwohl das Blatt halbjährlich mit einer Auflage von 180.000 Exemplaren erscheint und deutschlandweit verteilt wird, ist es dennoch weitestgehend unbekannt und untergründig aktiv. Schade eigentlich, denn wirft man einen Blick in eine der Ausgaben, sieht man, mit wie viel Hingabe die Verfasser gearbeitet haben. Die Artikel sind leicht verständlich und so herrlich ironisch, dass die heftigen politischen Statements unterhaltsam werden. Auch das Merchandising kommt nicht zu kurz: Neben Hoodies, T-Shirts und dem obligatorischen Jute-Beutel, gibt es eine Stickerreihe unter dem Motto: „Deutschland eine kleben“. Sprüche wie „Karies für Deutschland“ und „So wie es ist, kann es nicht bleiben“ spiegeln den Geist der Straßen aus Zucker wider, der durch die Aufkleber weiter verbreitet werden kann.

Die Zeitung erscheint auch auf Englisch und bald sogar auf Spanisch, Tim hofft aber für die Zukunft auf mehr: „Mein Traum wäre ja, dass wir bald auch polnische, türkische, französische und so weiter Ausgaben rausbringen können.“

Von Julia Lehrter

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