Web oder App? Wie verdient man im Mobile Publishing Geld

Mobile Publishing: App oder Web?

Wenn wir uns mit der Frage beschäftigen, welche Potenziale Medienunternehmen im Mobile Publishing haben, müssen wir uns drei Dimensionen anschauen: Es gibt eine sozialwissenschaftliche Sicht im Hinblick auf die Frage, in welchem Medienbereich wir uns befinden. Es gibt eine technische Sicht, die beleuchten sollte, wie man in diesem Umfeld agieren kann. Und es gibt eine betriebswirtschaftliche Sicht, die Einblick verschafft, welche Zielsetzungen man verfolgen kann.

Diese drei Dimensionen – Medium, Technologie und Strategie – kann man schließlich in einer abstrakten SWOT-Analyse zusammenführen, um bildlich gesprochen das Spielfeld gegenüber anderen Optionen abzugrenzen.

Starten wir die Analyse bei der Frage: Was ist Mobile Publishing? Vom Begriffsursprung ausgehend versteht man unter Mobile Publishing die Veröffentlichung von Medieninhalten, die auf Mobiltelefonen bzw. weiter gefasst auf mobilen Endgeräten genutzt werden sollen. Die Geräte selbst kann man umgangssprachlich kaum als „Medien“ beschreiben.

Anders als ein Fernsehempfänger, der ausschließlich als Abspielgerät für Medieninhalte konzipiert ist, gehören Mobiltelefone offensichtlich einer anderen Gerätekategorie an: Ihr Kernzweck ist die Unterstützung von dialogorientierter Kommunikation über eine Distanz hinweg. Man unterhält sich am Telefon wie bei einer Interaktion – also einer sozialen Situation unter Anwesenden.

Dass man überhaupt auf die Idee kommen kann, Medieninhalte auf Telefonen anzubieten, liegt an dem Umstand, dass man durch die Anbindung mobiler Telefone an das Internet dazu in der Lage ist – also ein nahezu klassisches Beispiel für einen Technology Push. Das führt zu der Frage: Über welches Medium sprechen wir bei Mobile Publishing eigentlich. Die naheliegende Antwort: Es geht um das Internet. Hier wiederum schließt sich die Folgefrage an: Ist das Internet ein Medium?

Ist das Internet ein Medium?

Der Medienbegriff ist kommunikationswissenschaftlich sehr unterschiedlich gefasst und zumeist metaphorisch geprägt wie bei den klassischen Ansätzen der Medienwirkungsforschung, die das Medium als möglichst störungsfreien Träger von Informationen sehen und sich im weiteren vor allem auf die Inhalte konzentrieren.

Später entwickelte sich im Anschluss an die Arbeiten von McLuhan ein Verständnis, dass das Medium selbst einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Wahrnehmung des Inhalts hat und ein und dieselbe Aussage geschrieben in einer Fachzeitung oder einer Illustrierten oder gesprochen in einem Kamininterview, das im Fernsehen ausgestrahlt wird, anders vom Rezipienten eingeordnet wird.

Da das Medium offensichtlich den Verständnisprozess beeinflusst, hat sich auf Basis der Arbeiten von Luhmann zur Konstitution von Gesellschaft durch Kommunikation eine Sichtweise entwickelt, die Medien als Wahrscheinlichmacher – Katalysatoren – von Kommunikation beschreiben.

Dies geschieht auf drei Entwicklungsebenen: Zunächst durch Sprache, die Kommunikationsprozesse durch die Nutzung von Zeichen (Worten, Gesten etc.) über das direkt Wahrnehmbare hinaus ermöglicht.

Das gesprochene Wort gilt aber nur unter Anwesenden, weshalb sich Verbreitungsmedien entwickelt haben, die Kommunikation auch asynchron und damit gewissermaßen zeitlos ermöglichen. Bilder, Schrift, deren massenhafte Vervielfältigung durch Druck, Fotografie, Tonaufzeichnung und Bewegtbild haben die Kommunikationsmöglichkeiten und das Themenreservoir enorm erweitert und bieten so Stoff, der ständigen Weiterentwicklung von Gesellschaft.

Schließlich entwickelten sich im Zuge der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft in Teilbereichen wie Wirtschaft, Recht und Wissenschaft symbolische Generalisierungen wie etwa Geld, die eine Verhandlung über den Gegenwert einer Leistung abstrahieren und den Kaufprozess dadurch einfacher und wahrscheinlicher machen, weil es nur noch um die Frage geht: Kann und will ich für die Leistung den Preis zahlen.

Medien als Katalysatoren von Kommunikation nutzen technische Infrastruktur. So braucht man um ein Buch zu drucken eine Druckerpresse, um ein Radiofeature zu produzieren ein Mikrofon. Dennoch würden wir kaum Druckmaschine und Mikro als Medien bezeichnen. Auch für die Ausstrahlung im Rundfunk etwa wird Infrastruktur benötigt: Satelliten, Sendezentrum, Antennen etc. Aber diese Infrastruktur ist offensichtlich nicht selbst (Kommunikations)-Medium. Ähnlich verhält es sich mit dem Internet. Es ist eine Infrastruktur, die es ermöglicht, durch die Nutzung von Medien Kommunikation zu steigern. Medien sind dabei sowohl das gesprochene Wort – im Sinne der Nutzung der Internet-Infrastruktur für Telefonie via Skype o.ä. Aber auch Verbreitungsmedien wie Texte, Bilder, Videoclips und Songs und selbst symbolische Generalisierung wie Kundenbewertungen, Anzahl von Fans oder Followern bzw. PageRank, die die Meinung hinsichtlich der Glaubwürdigkeit und Relevanz von Quellen abstrahieren, werden durch das Internet unterstützt.

Massenmedien? Hey, here comes everybody

Anders als eine „publizistische Einheit“ – im Sinne eines Verlags, einer Redaktion, aber auch eines Fernsehsenders oder einer Radiostation – ist das Internet (Basis TCP/IP) und speziell das World Wide Web (Basis http) kein Medienangebot, sondern es ermöglicht es, Medienangebote zu verbreiten. Das Internet ist eine Infrastruktur, wie das Straßennetz: Es wird zur selben Zeit für unterschiedliche Zwecke (Urlaub, Lebensmitteltransport, Kundenbesuch…) mit unterschiedlichen Geräten (PKW, Fahrrad, Bus…) genutzt. Und ähnlich wie im Straßenverkehr ist der Zugang zum Internet sehr offen allen gestattet bzw. bildlich gesprochen: Es interessiert das Netz nicht, ob ein Angebot von der BILD-Zeitung, der BBC oder dem Privatier Max Mustermann eingestellt wird. Somit werden alle, die Inhalte im Internet ohne Login anbieten, zu „Massenmedien“ im Sinne Luhmanns: Sie verbreiten Kommunikationsangebote durch Nutzung von Technik an einen unbestimmten Adressatenkreis. Oder um es mit Clay Shirky plakativer zu formulieren: Here comes everybody.

Diese Besonderheit als Netzwerk-Infrastruktur mit unterschiedlichsten Anwendungsgebieten und niedrigen Zugangshürden hat zu einer rasanten Verbreitung der Technologie geführt. Seit der Entwicklung des grundlegenden http-Protokolls 1989 hat das Web heute eine weltumspannennde Reichweite.

Tim Berners-Lee stellte 1989 das Konzept des World Wide Web vor. Er ersann drei grundlegende Strukturen, um dynamisch große Mengen von Informationen in komplexen Systemen sicher zu verwalten:

  • HTTP als Protokoll, mit dem der Browser Informationen vom Webserver anfordern kann
  • HTML als Dokumentenbeschreibungssprache, die festlegt, wie die Information gegliedert ist und wie die Dokumente verknüpft sind (Hyperlinks)
  • URLs als eindeutige Bezeichnung einer Ressource, die in Hyperlinks verwendet wird

Das Zugangsgerät zu den dynamisch mit einseitigen Links verknüpften Informationen war ein Arbeitsplatz-Computer. Dementsprechend entwickelte sich das Web in den Folgejahren in direkter Abhängigkeit zu dem Markt von Personal Computern. Diese waren Mitte der 1970er Jahre durch den Bausatz Altair 8800 (für den Microsoft sein erstes Stück Software schrieb) und den ersten fertigen PC mit integrierter Tastatur (entwickelt von Apple) langsam, aber sicher zunächst in die Büros und dann im Zuge der Spieleindustrie auch in die Wohnzimmer gekommen.

Viele PCs, ein cleveres Netzwerk und ein System, mit dem man Daten anzeigen konnte: All das griff seit Mitte der 1990er Jahre perfekt zusammen und löste an den Börsen den Dot-Com-Boom aus. Dienste wie E-Mail und Filesharing, Anwendungen wie Banking oder E-Commerce und massenhaft Inhalte zum Nulltarif ließen Angebot und Nutzungszahlen explodieren. Doch dabei blieb es nicht.

Die Nutzungszahlen steigen weiter dramatisch und die Wachstumstreiber für die Nutzung von Internetangeboten sind heute Smartphones. Damit leitet sich für das Internet – die Infrastruktur – eine dritte Welle ein: Nach dem Web als Datenspeicher und Transaktionsmedium (Email, Banking, Shopping) und dem Web 2.0, das durch neue Funktionen zum Mitmachen und Teilhaben aufforderte (Social Networks, You Tube, Microblogging) kommt das mobile Web, das uns begleitet und situationsadäquat unterstützt und wahrscheinlich problemlos mit dem lange propagierten Internet der Dinge verschmilzt. Wir sind auf dem Weg zur universellen Vernetzung und Allgegenwart von IT-System, dem Ubiquitous Computing.

Smartphones sind ein erster Schritt dahin. Smartphones sind Mobiltelefone, die neben Telefonie, Textbotschaften und Mediennutzung vom lokalen Speicher auch die Verbindung ins Internet ermöglichen und so durch Datenabgleiche mit Servern und speziellen Kommunikationsfeatures den Funktionsraum eines Mobiltelefons deutlich erweitern. Zwar gibt es Smartphones schon seit den 1990er Jahren – der Nokia Communicator startete 1996, das erste als Smartphone bezeichnete Mobiltelefon (Ericsson R380) kam 2000 auf den Markt und der speziell für Geschäftskunden entwickelte Blackberry folgte 2003. Doch die Art und Weise, wie Mobiltelefone das Internet nutzen, definierte der Computerhersteller Apple mit dem 2007 vorgestellten iPhone.

Das Erfolgsrezept des iPhones ist neben der von Nutzern als sehr intuitiv empfundenen Multitouch-Steuerung insbesondere die Anbindung an den App Store, eine proprietäre Plattform, von der getestete und von Apple freigegebene Programme auf das iPhone geladen werden können und so das Funktionsspektrum des Geräts erweitern und individualisieren.

Speziell diese zweite Dimension – Individualisierung – scheint punktgenau die Bedürfnisse der Nutzer zu treffen. Die Apps werden nicht nur aus dem Internet geladen, um aus dem anonymen Massenprodukt Smartphone eineb einzigartigen und individuellen Begleiter zu machen. Sie sind häufig auch konstant mit dem Internet verbunden, z.B. um Daten abzurufen oder Spielstände zentral zu speichern. So sind die Apps das eigentliche Tor zum Internet auf dem Smartphone und ersetzen damit die universellen Browser.

Apps sind auf mobilen Geräten das Tor zum Internet

Apps als Tor zum Internet auf mobilen Endgeräten – wie konnte es dazu kommen und warum beflügelt das die Fantasie der Medienunternehmen? Werfen wir einen Blick zurück auf die Entstehung von Apps, müssen wir ins Jahr 2001 zurücksehen, als Apple sein MP3-Abspielgerät iPod in den Markt einführte. Nach zunächst moderaten Verkäufen, wurde 2003 der iTunes Store eingeführt. Der iTunes Store ermöglichte es, Musik einfach, bequem, legal und kostengünstig aus dem Netz direkt auf den iPod zu laden. Die Verkäufe zogen an und explodierten ab 2005 förmlich. Bis 2011 wurden mehr als 300 Mio. iPods und mehr als 16 Milliarden Songs verkauft. Apple ist so seit 2008 der größte Händler von Musikaufnahmen weltweit.

Die Kombination aus gut bedienbarer und solide verarbeiteter Hardware, emotionaler Marke und angeschlossenem Internet-Service – einer Art Datentankstelle für digitalisierte Inhalte – wiederholte Apple dann ab 2007 mit dem iPhone im Markt für Mobiltelefone und seit 2010 auch im Markt für mobile Computer mit dem iPad. Alle drei Produktkategorien zahlen dabei letztlich wieder auf das Serviceportal iTunes ein, das mittlerweile (Stand 2011) rund 400 Mio. mit Kreditkarte hinterlegte Kundenkonten verzeichnet. Zum Vergleich: Amazon lag zu diesem Zeitpunkt weltweit bei 155 Mio. Kunden, Ebay bei 97,2 Mio. Kunden und nur PayPal schafft es mit 224 Mio. Konten auf Augenhöhe. Apple ist heute also nicht mehr nur eine Topmarke im Unterhaltungselektronik-Segment. Es ist auch einer der größten Händler von Medieninhalten und verkauft Musik, Filme, Software, Bücher und Zeitschriften – alles aufgelöst in Bits und Bytes und per Internet direkt aufs Endgerät der Wahl.

Die App Economy: Leute bezahlen für etwas, was eigentlich gratis ist

Beide Dimensionen – die technische Besonderheit, dass nicht Browser, sondern Apps den Zugang zum Internet bilden und dass hinter den Apps ein leistungsfähiges Mainstream-Bezahlsystem steht – ermöglichen die App Economy: Sachen, die eigentlich im Internet kostenfrei nutzbar sind, kann man auf einmal verkaufen.

Das macht speziell die Printverlage hellhörig, deren lange erfolgreiches Vertriebsmodell aus einem Drittel Verkaufserlösen und zwei Drittel Werbeerlösen mittlerweile erodiert ist. Bei deutschen Tageszeitungen etwa übertrafen die seit Jahren nahezu stagnierenden Vertriebserlöse 2009 erstmals sogar den Werbeanteil . Dies war freilich nur durch Preiserhöhungen möglich, denn nach einer durch die Wiedervereinigung ausgelöste Sonderkonjunktur in den 1990er Jahren entwickeln sich Anzeigenerlöse und Druckauflagen von Zeitungen und Zeitschriften seit dem Jahrtausendwechsel kontinuierlich rückläufig.

Was liegt da näher, als nach neuen Möglichkeiten zu suchen, die redaktionelle Kernkompetenz bzw. das journalistische Produkt in neuen Kanälen zu verkaufen und so den Trend zu stoppen. Ein erster Versuch der Refinanzierung journalistischer Arbeit durch Vertriebserlöse im Internet scheiterte. Paid Content – egal ob als komplettes Angebot oder nur als Zugriff auf Archivbestände oder Special Interest Inhalte – brachte keine nennenswerten Umsätze. Den Grund analysierte Breunig bereits 2005 treffend: „Der Versuch, bisher kostenlose Inhalte einfach in kostenpflichtige Inhalte zu überführen, indem man ihnen ein ‚Preisschild‘ umhängt, ist zum Scheitern verurteilt“ .

Dieses Dilemma scheint die App Economy für die Verlage zu lösen. Dadurch, dass man die Inhalte in eine App verpackt, kann man sie auf einmal doch verkaufen. Ist also das Cross Media Publishing mit Zielsetzung auf gesteigerte Vertriebserlöse auf allen bedienten Plattformen der Weg, der speziell den Printverlagen den Weg aus der Krise weist und für andere Medienunternehmen gar ein Eldorado eröffnet?

Ein bedeutsamer Unterschied: Nachricht oder Artefakt

Um diese Frage zu erörtern, sollte man eine wesentliche Unterscheidung beachten: Die verfügbaren Medienangebote – Texte, Bilder, Videos, Musik etc. – teilen sich in zwei Gruppen, die wir der Einfachheit als Nachrichten und Artefakte bezeichnen wollen. Mit Nachrichten meinen wir die Beschreibung eines Sachstandes, wie wir es aus Zeitungen, Zeitschriften, Informationssendungen im Rundfunk oder auch Fachmedien wie Börsendiensten kennen. Ein Ereignis wird besprochen, bebildert, gefilmt oder wie auch immer thematisiert. Für das Publikum ist hier letztlich die Sachlage entscheidend, und nicht das Medium, das darüber berichtet. Ein Artefakt dagegen ist etwas, das ein eigenes Werk darstellt, etwa ein Film, eine Musikaufnahme oder ein Roman. Dieses Medienangebot verfügt durch seine Autorenschaft über eine Exklusivität, die es dem Nutzer plausibel macht, dass es etwas anderes ist, ob James Last oder AC/DC den Song Highway to Hell spielen.

So scheint es durchaus verständlich, dass sich Bücher, Musikaufnahmen oder Kinofilme auch dann vermarkten lassen, wenn sie über das Internet distribuiert werden. Nachrichten aber, die ich bei der FAZ bezahlen soll, obwohl ich sie bei der ZEIT kostenfrei erhalte – daraus wird schwerlich ein Geschäftsmodell – es sei denn, die Nachrichten selbst werden zu Artefakten oder der Wert des Angebots wird gar nicht durch die Inhalte geschaffen, sondern durch ganz andere Faktoren.

Wenn wir also Medienunternehmen im Blick haben, die sich im Kern mit der Vermarktung von Artefakten beschäftigen, dann bieten Apps durch die Bezahlinfrastruktur, die insbesondere Apple und auch Amazon anbieten, einen alternativen Vertriebskanal, den man ebenso wie andere Vertriebskanäle aktiv erschließen sollte, um den Distributionsgrad zu erhöhen.

Wenn wir dagegen auf Medienunternehmen fokussieren, die sich im Schwerpunkt mit Nachrichten beschäftigen, lässt sich schwerlich annehmen, dass in digitalen Medien nennenswerte Vertriebserlöse zu erzielen sind.

Das Problem: Die Branche verkauft sich unter Wert

Allerdings – egal welche Zahlenbasis man zugrunde legt – legen die Werbeeinnahmen, die online erzielt werden, mit der verbreiteten und intensiveren Nutzung von Internetangeboten deutlich zu. Gleichzeitig wächst weiter das tägliche Zeitbudget, das für webbasierte Inhalte investiert wird. Das eigentliche Dilemma der Branche ist weder eine vermeintliche Kostenloskultur noch eine zu geringe Reichweite. Das Problem ist: Es gelingt nicht, Werbung im Internet ähnlich werthaltig zu vermarkten, wie Anzeigenplätze im gedruckten Raum. Setzt man die Nutzungsdauer in direkte Relation zum Gesamtwerbebudget, schöpft das Internet nur ein Drittel seines Potenzials aus, Print dagegen verdient mit Werbung fünf Mal so viel, wie es seiner Bedeutung im Sinne der ihm gewidmeten Zeit entspricht (wenn wir einmal alle Qualitätsargumente ausblenden).

Berücksichtigt man schließlich noch, dass Werbung im Internet von ihrer Konzeption her die höchstmögliche Zielgruppen-Dichte erreichen kann und durch die Nutzung aller Medien – Text, Bild, Video, Ton – von emotional bis harter Nutzenargumentation spielen kann, verwundert es, dass es bislang Inhalteanbietern nicht gelingt, dieses Potenzial auszuschöpfen.

Warum gelingt es Medienunternehmen nicht, im Internet stärker zu reüssieren? Werfen wir wieder einen Blick zurück auf die Zeiten, als das Web 1.0 zu seinem Siegeszug antrat. Man kann wahrscheinlich keine höfliche Erklärung dafür finden, warum z.B. Zeitungen und Zeitschriften es versäumt haben, ihre angestammten Kleinanzeigenmärkte – Autos, Stellenangebote, Partnervermittlung, Immobilien etc. – binnen kürzester Zeit an Branchenneulinge wie die Scout24-Gruppe oder mobile.de zu verlieren. Ebenfalls ist es nur bedingt nachvollziehbar, dass trotz Vorhandensein verschiedener Suchmaschinen-Technologien, Verlage und Medienunternehmen keinen Bedarf gesehen haben, Ansätze für eine Orientierung im Medium zu schaffen. Transaktionsbasierte Geschäfte wie Marktplätze und Werbekonzepte wie Suchmaschinenmarketing wurden durch Technologieunternehmen realisiert, während die deutschen Verlag noch überlegten, ob man eine Wallet mit Pay-per-Click oder ein Abomodell realisieren sollte, um die exklusiven redaktionellen Arbeiten der Verlagshäuser zu vermarkten.

Die Marktsicht legt nahe, dass Medienunternehmen, die Artefakte anbieten, Apps als einen – nicht zwingend den zentralen – Absatzkanal nutzen können und das Medienunternehmen, die im Nachrichten-Geschäft unterwegs sind, durch Apps derzeit nur indirekt profitieren können und zwar in dem Sinne, dass sie Erfahrung mit den technologischen Möglichkeiten und einen Lernprozess hinsichtlich des Nutzerverhaltens ermöglichen.

Quasi als Zusammenfassung der medienwissenschaftlichen, technologischen und betriebswirtschaftlichen Perspektive, möchte ich einige Aspekte anreißen, die das Spannungsfeld im Generellen umreißen. Dazu nutze ich zur Veranschaulichung das Instrument der SWOT-Analyse, die natürlich im Einzelfall deutlich präziser angewendet werden muss.

Die SWOT-Analyse ist ein Instrument der strategischen Planung, also der Festlegung des Zielsystems eines Unternehmens für einen längeren Zeitraum. Es stellt sowohl unternehmens- und marktseitig die positiven und negativen Ausprägungen dar.

Mobile Publishing – das Publizieren für „unterwegs“ – ist die Bereitstellung von Medieninhalten auf mobilen Endgeräten. Marktseitig ist davon auszugehen, dass durch die mobilen Endgeräte die Gesamtnutzung des Internet deutlich steigen wird und dass sich die Bedienlogik immer stärker in Richtung visueller Navigation ändern wird. Grund ist die marktimmanente Entwicklungslogik der Informationstechnologie, dass nur neue Geräte/Features/Ansätze zu verkaufen sind. Es ist also davon auszugehen, dass das Mitmach-Web zum Überall-Web wird.

SWOT für Mobile Publishing

Die Chancen, die sich für Medienunternehmen ergeben, sind für die Anbieter von Artefakten (exklusiven Inhalten) relativ klar beschrieben: Neben PC, Videothek, Zeitschriftenkiosk, Supermarkt etc. gibt es einen weiteren Kundenkontaktpunkt und zwar einen attraktiven, weil das Mobiltelefon für viele Menschen ein 24stündiger Begleiter ist. Man kann also einen weiteren Vertriebskanal ausbauen und damit ggf. Absatzpotenziale optimieren.

Aber es ergeben sich natürlich auch Risiken und die bestehen in einer deutlich aggressiveren Preispolitik. Denn so sehr Amazon z.B. dem physischen Medienvertrieb und Media Markt der Unterhaltungselektronik geholfen hat, so sehr haben die starken Vertriebsorganisationen auf die Preise gedrückt – und speziell für standardisierte Produkte wie Musik, Filme, TV-Shows, Taschenbücher ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die Gatekeeper des Marktes wie z.B. Apple, in eigenem Interesse in die Preispolitik eingreifen – zu Lasten der Lizenzinhaber. Ein weiteres Risiko besteht übrigens für einzelne Branchen im Umstand, dass die Hürden für die Vermarktung geringer werden. Wer eine gute Spielidee hat und diese in einem pfiffigen Social Game umsetzt, kann dies über die großen Stores und innerhalb von Netzwerken wie Facebook selbst vermarkten – ganz ohne Medienunternehmen an seiner Seite.

Spannender sind die Marktchancen für die Nachrichten-Anbieter – Zeitungen, Fachdienste, Zeitschriften etc. Es deutet sich an, dass nicht nur die Nutzungsdauer von Internetangeboten durch die mobile Nutzung weiter steigt und dadurch mehr Reichweite erzielt wird. Es wird – wie im Web 1.0 und Web 2.0 – wieder neue Spieler geben, die das Geschehen aus einer anderen Marktsicht aufmischen. Die Themen, um die es gehen wird, hängen stark mit der Verknüpfung von Technologie und Inhalten zusammen und zeigen sich speziell in Richtung auf Regionalisierung und Lokalisierung von Informationen. Das Telefon wird durch den Sucher seiner integrierten Kamera zur Suchmaschine für unterwegs. Dinge werden erkannt, Barcodes gescannt, der GPS-Empfänger steuert Geodaten bei. Wenn man dann etwas sucht, etwas wissen will, sich orientieren oder unterhalten muss, werden viele Ansatzpunkte etwas mit der konkreten Situation und dem Standort des Nutzers zu tun haben. Ohne das zu vertiefen: Es hat schon Charme, wenn man durch die Stadt geht und das Mobiltelefon dezent signalisiert, dass Freunde zwei Ecken weiter im Café sitzen, man sie doch überraschen sollte und der Geschäftsinhaber sich gerne mit einem Gratis-Espresso bedankt. Oder dass man in einer fremden Stadt sein Telefon auf ein markantes Gebäude richtet und erfährt, dass dort früher der Stadtrat tagte, heute ein Museum untergebracht ist, dessen Besuch sich aber im Wesentlichen nicht lohnt und man lieber eine Straße weiter gehen sollte, weil dort gerade George Clooney gesehen wurde.

Worum geht es: Lokale Informationen – aktuell und archivarisch – sind viel Wert, wenn man Nutzern einen Service anbieten möchte, der über die allabendliche Schlagzeile der Tagesschau hinausgeht. Medienunternehmen – die zumeist einen starken regionalen wenn nicht lokalen Fokus haben, sind prädestiniert zur Entwicklung spannender Angebote. Sie haben Journalisten vor Ort, sie haben Historie und vor allem haben sie das Netzwerk zur Wirtschaft. Was ihnen fehlt, sind die Angebote. Diese werden von Unternehmen wie Yelp und Google und Foursquare und Groupon auf einem globalen Ansatz entwickelt – der bis zu einem gewissen Niveau schwächer sein muss, als das was ein örtlicher Anbieter zu bieten hätte – bis irgendwann die durch Größe ausgelösten Netzwerkeffekte diese Schwäche kompensieren und der Markt verteilt ist.

Eine weitere Chance bietet sich in der besseren Ausschöpfung des Potenzials. Während zahlreiche Medienunternehmen sich immer noch mit dem aus der Printwelt bewährten TKP beschäftigen, zeigt Google, wie man seine Preisstellung medienadäquat und mit Yield-Ansatz optimiert.

Wechseln wir auf die Innensicht. Was sind die Stärken, was sind die Schwächen der Medienunternehmen. Beginnen wir mit den Nachrichtenunternehmen lässt sich ganz pauschal unterstellen, dass sie die Bearbeitung und Bereitstellung von Nachrichten beherrschen sollten, und zwar besser als jeder globale Anbieter und besser als ein automatisierter Dienst, der Daten algorithmisch sammelt. Aber der Einsatz dieser Stärke – das zeigen die vergangenen 15 Jahre Onlineerfahrung – ist leider keine Stärke der Medienunternehmen, die zulange den ertragsstarken Jahren nachtrauerten und sich weder auf Unternehmensleitung noch im Mittelmanagement ernsthaft mit Medien jenseits der Zeitung auseinandersetzten. Die Entwicklung und vor allem Umsetzung von neuen Konzepten zur sinnvollen Bereitstellung von ortsbezogenen Informationen kann derzeit als größte Schwäche der Medienunternehmen attestiert werden.

Bei den Anbietern von Artefakten sind die Stärken sicherlich vor allem in der Herstellung, künstlerischen Produktion und im Einkauf von Lizenzen zu sehen. Was ein guter Film ist, welche Musik sich verkaufen lässt, welcher Roman das Zeug für die Bestsellerlisten hat, welche Dokusoap gute Einschaltquoten holte – das sollten Medienunternehmen besser verstehen, als Branchenfremde. Aber da liegen auch gleich die Schwächen. Denn das bisherige Rollenbild – der Künstler künstelt, der Vermarkter vermarktet und der Rezipient rezipiert – wird durch das Internet in vielen Bereichen in Frage gestellt – bislang noch ohne nennenswerten finanziellen Erfolg, aber Justin Bieber – ein Kind der Generation YouTube – lässt erahnen, dass es für klassische Verlage und auch eine Reihe von TV-Sendern in den nächsten zehn Jahren zu Konkurrenz aus ungeahnter Ecke kommen wird.

Von Thomas Becker (Dieser Text ist bis auf wenige Aktualisierungen die Verschriftlichung eines Vortrags, den ich 2012 an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Medien Offenburg gehalten habe).

Bildnachweis: Von Rob Hampson [Lizenz] via unsplash.com

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