Nur rund 35% der stimmberechtigten Berliner beteiligten sich 2009 an den EU-Wahlen – die deutschen Hauptstädter sind politikverdrossener als selbst die Griechen oder Spanier. Auch ein Blick auf die Jugendbeschäftigung drängt den Vergleich mit den Krisenstaaten Europas auf. Doch Frustration war gestern, denn Berlin zeigt Initiative und setzt neue Maßstäbe für In- und Ausland.
Dem Berliner geht es eigentlich ganz passabel. Man beklagt sich über Mietpreiserhöhungen, Dauerbaustellen und verdreckte Gehwege, lässt sich schließlich doch vertrösten vom Charme der laut Umfragen attraktivsten Stadt Europas. Selbst in sozialen Brennpunkten wie Reinickendorf und Neukölln wirken die Maßnahmen staatlicher wie gemeinnütziger Einrichtungen – ein System, das für einige EU-Staaten noch lange nicht greifbar ist.
Gerade junge Menschen leiden unter der mangelnden Perspektive. In Griechenland, Spanien und Kroatien liegt die Jugendarbeitslosenquote bei alarmierenden 50%. Obwohl Deutschland mit nur 7.4% Unbeschäftigten U25 im europäischen Vergleich am besten abschneidet, ist in Berlin jeder zehnte Jugendliche arbeitslos.
Ein Rückgang von immerhin einem Prozent im vergangenen Jahr veranschaulicht eine recht ansehnliche Tendenz. “Wir können es uns nicht leisten, diese Jugendlichen zu verlieren“, erkennt Sabine Bangert, Expertin der Grünen für Ausbildungspolitik. Bereits Anfang 2013 bringt sie ein neues Konzept ins Gespräch. Eine Jugendberufsagentur soll Abhilfe schaffen, indem sie auf die gesonderten Bedürfnisse junger Erwachsener eingeht.
Mehr Rückhalt für den Wiedereinstieg
Das Modellprojekt Kompetenzagentur ist in Hamburg bereits in vollem Gange. Das Programm richtet sich vor allem an Schul- und Ausbildungsabbrecher, Jugendliche aus bildungsfernen Kreisen, aber auch an solche mit Migrationshintergrund oder Gewalterfahrungen. Finanziert wird das Projekt unter anderem durch EU-Fördergelder – eine Investition in Menschen, die sich selbst bereits aufgegeben hatten. Ziel ist es, die Betroffenen zugänglich zu machen und individuell, “passgenau” zu coachen, um schließlich eine soziale und berufliche Wiedereingliederung zu ermöglichen.
Eine Erweiterung nach Berlin ist im August diesen Jahres geplant. „Wir wollen Jugendlichen eine Anlaufstelle für alle Fragen rund um den Übergang Schule/Beruf bieten“, so SPD Bildungssenatorin Sandra Scheeres. Denn gerade dieser erweist sich als besonders prekär, birgt hohes Aussteigerpotenzial.
Keine Chance der Gleichgültigkeit
Marzahn-Hellersdorf macht es vor. Bezirksbürgermeister Stefan Komoß berichtet mit Stolz von einer Senkung der Arbeitslosigkeit 15- bis 25-Jähriger von 34 Prozent innerhalb der letzten zwei Jahre, immerhin ein Dreifaches der Erfolgsquote in Mitte. Der bezirksinterne Masterplan zeigt seine Wirkung.
Eine Pilotinitiative der Arbeitsagentur MatchPoint unterstützt die Kommunikation von Schulen und Arbeitgebern, vermittelt individuell Praktika und Ausbildungsplätze. Wer heute einen Antrag auf Hartz IV stellt, erhält zeitgleich eine Auswahl an Stellenangeboten und wertvolle Bewerbungstipps. Ein Engagement, das vielen Jugendliche den entscheidenden Anstoß bietet. Man ist zuversichtlich. “Bis 2016 sollen alle Jugendlichen im Bezirk eine Ausbildung oder einen Job bekommen“, so Komoß. Auch auf gemeinnütziger Ebene wird gehandelt. In Lichtenberg berät der Förderverein für arbeitslose Jugendliche e.V. (fvaj) Betroffene und Angehörige, bietet Workshops für Schulklassen sowie Kompetenztraining rund ums Thema Bewerbung.
Mit mehr Balance in die Zukunft
Hierzulande weiß man sich offensichtlich zu helfen. Eine Kompetenz, von der auch andere EU-Länder profitieren sollen, finden Politiker. In Schwerin beschließt eine Fachkonferenz zur Jugendarbeitslosigkeit in Süd- und Osteuropa, enger mit den betroffenen Staaten zusammenzuarbeiten. 48 Millionen Euro sollen im kommenden Jahr genutzt werden, um jungen Fachkräften aus dem Ausland einen beruflichen Einstieg in Deutschland zu ermöglichen. „Wir müssen einen sinnvollen Ausgleich versuchen, um jungen Menschen eine Zukunft zu geben”, so Ursula Engelen-Kefer, Honorarprofessorin an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit.
Denn auch das Recht auf Arbeit gilt als unveräußerlich. Wem keine Unterstützung zukommt, dem wird signalisiert, dass er nicht gebraucht wird. Ein folgenschwerer Trugschluss, bestätigte Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, kürzlich auf einer Pressekonferenz der europäischen Kommission. Gerade Demokratie lebt von der Stimme jedes Einzelnen – ein Fundament, das diesem Engagement zu Grunde liegt.
Von Diana Kabadiyski