Die Bundesregierung hat ein neues Zeitalter der Industrialisierung ausgerufen: In der Industrie 4.0 ersetzen Maschinen nicht nur Mitarbeiter, sie verbessern sich selbst, reden miteinander und wissen die Wünsche der Kunden, schon bevor diese sie selbst ahnen.
Um die vierte industrielle Revolution zu verstehen, muss man sie in den historischen Kontext der drei vorausgegangen industriellen Revolutionen setzen: die Erfindung der Dampfmaschine, die Einführung der Massenfertigung mit Hilfe von Fließbändern und schließlich die Digitalisierung der Arbeitswelt durch Verbreitung von Personal Computer und Internet. Diese drei Entwicklungen bedeuteten jeweils große Einschnitte für das gesellschaftliche Leben.
Die vierte industrielle Revolution
Der Begriff Industrie 4.0 mag heute noch etwas hölzern und abstrakt klingen, aber die Ideen von künstlicher Intelligenz, durchgängiger Vernetzung und überall verfügbarer Sensorentechnologie wird ohne Zweifel einen massiven Einfluss auf die nächsten Jahrzehnte nehmen. Das gilt schon im Kleinen: Dank „Koubachi“ hat bald jeder einen Grünen Daumen. So könnten vertrocknete Zimmerpflanzen bald der Vergangenheit angehören. Koubachi ist eine Art Duschkopf, der an einer Zimmerpflanze angebracht wird. Er bestimmt die Bodenfeuchtigkeit und die Lichtintensität, welche wiederum via WLAN an einen Server übermittelt werden. In der Folge werden die Hobby-Gärtner übers Smartphone oder den Computer ans Gießen und Düngen erinnert.
Gleiches Prinzip, wärmende Wirkung: Die per App gesteuerte Heizung in den eigenen vier Wänden. So kann der Kunde bequem von seinem Smartphone aus die Temperatur in seinem Eigenheim steuern. Dank WLAN-Übertragung und an den Heizkessel angeschlossenen Router ist es nur warm, wenn jemand zu Hause ist. Glaubt man den Versprechen von tado, dem führenden Konzern im Feld der modernen Heiztechnik aus München, so rechnet sich die Aufrüstung der Heizung bereits im ersten Jahr, mit 31% Stromkostenersparnis. Die Heizung sei „lernfähig“ und fungiere als „persönlicher Heizassistent“. Sprich, sie passt sich dem individuellen Haus, sowie der Wettervorhersage an.
Technisierung birgt Chancen und Risiken
Klingt überzeugend, doch die Nachfrage hält sich bisher in Grenzen, sagt Stefan Faulhaber, Experte für Gas- und Wasserinstallation aus Braunfels in Hessen: „Grundsätzlich sind die Leute interessiert, aber wenn überhaupt, lässt einer von zehn eine solche Anlage installieren.“ Vor allem seien es junge, technisch versierte Kunden, die eine solche Aufrüstung anfragen.
Dies ist kein Einzelfall. Viele Neuheiten sind trotz vermeintlicher Vorteile nach wie vor Ladenhüter. Die Verbraucher finden die immer weiter voranschreitende Technisierung ihres Lebens suspekt. Auf Altbewährtes zu setzen scheint dabei oft die beste Option zu sein.
Dieses Fazit zieht auch Faulhaber: „Es ist zwar ein netter Komfort, aber eben doch eher eine technische Spielerei.“ Ohnehin seien moderne Heizungsanlagen auch ohne Internetanschluss programmierbar, etwa wenn man in den Urlaub fährt.
Das zeigt, dass man im Umgang mit dem Internet der Dinge differenzieren und abwägen muss. Es gilt herauszufinden wo die Chancen und wo die Risiken der Neuerungen liegen.
Speziell für die Industrie bieten die neuen Möglichkeiten enorme Chancen. Für den Wirtschaftsstandort Deutschland sei die Industrie 4.0 überlebensnotwendig, sagt Heinz Kraus vom Kompetenzzentrum für Informationstechnologie von der Technischen Hochschule Mittelhessen in Gießen. „Sie berührt jede Branche, also darf man den Zug nicht verpassen, sonst ist man eines Tages nicht mehr wettbewerbsfähig.“
Konkret heißt das Zeitalter 4.0 für die Industrie, dass dank flexibler Massenfertigung und der zunehmend selbstständigen Arbeitsweise, Maschinen den menschlichen Arbeiter unterstützen und entlasten. Sie arbeiten schneller, machen weniger Fehler und werden selbstredend nicht müde. Kurzum, Maschinen sind die vermeintlich besseren Arbeiter.
Werden die Menschen durch Industrie 4.0 dümmer?
Aber wo ist noch Platz für uns selbst regulierenden und automatisierten Welt von Maschinen gegenübersieht? „Die größte Gefahr ist sicherlich, dass eines Tages alles vernetzt sein wird und alle Daten gespeichert werden.“ So ließen sich – um bei dem Beispiel mit der Heizung zu bleiben – die Daten über die Heizzyklen natürlich auch dazu nutzen, etwas darüber auszusagen, wann der Besitzer zuhause ist und wann nicht. Es gilt den gesunden Menschenverstand zu bewahren. Man muss besonnen mit seinen Daten umgehen und das Gefahrenpotenzial abwägen.“
Eine andere Zukunftsangst spricht der Philosoph Richard David Precht an, der das Internet der Dinge „die totale Abhängigkeit von Maschinen“ nennt und damit ein düsteres Bild zeichnet. Er ist sich sicher, dass die zunehmende Maschinisierung menschlichen Lebens zu einer Rückführung menschlicher Intelligenz führen wird. Wenn Chip-gesteuerte Maschinen in Zukunft alle Aufgaben, die unser alltägliches Leben ausfüllen, übernehmen würden, dann blieben Selbstständigkeit und Denkvermögen womöglich auf der Strecke.
Eine technische Vision, die Heinz Kraus teilt, aber anders bewertet. „Sicher werden Roboter irgendwann andere Roboter bauen“, aber der Mensch wird sich als Arbeiter anpassen und weiter entwickeln, zum Beispiel mehr Kontrollaufgaben übernehmen.
Mit der Industrie 4.0 sei es wie mit einem Kampfhund, der vor Freude übers Gesicht leckt oder beißt. „Es kommt ganz darauf an, wie der Mensch ihn erzieht“, resümiert der Experte für eBusiness.
Von Maximilian Haag