Millionenfach strömen jedes Jahr Touristen nach Berlin. Sicher auch aus geschichtlichen Gründen: Hier ein Stück Mauer gekauft, dort ein Foto im Arbeitszimmer von Stasi-Chef Mielke gemacht. Doch einen der letzten, wahren Zeitzeugen der Teilung verkennen viele bei ihrer Reise durch Berlin.
Gänzlich unbemerkt steht er, im Schatten des Potsdamer Platzes, an der Rückseite des Bundesrates: der letzte von einst 200 Wachtürmen der DDR. Ein Stück Zeitgeschichte, dass vielen wohl auf immer verborgen bleiben wird. Vor ein paar Jahren war der Turm seinem Tod geweiht. „Als wir den Turm im Herbst 2010 übernommen haben, war er nur noch eine Ruine“, erklärt Markus Zimmermann, einer von drei ehrenamtlichen Helfern, die sich um den Erhalt des Wachturmes kümmern. So sei der Scheinwerfer geklaut, die Tür aufgebrochen und die Wände mit Graffiti beschmiert worden.
Geschichtspflege in Privatinitiative
Mit viel Zeit und Aufwand wurde der DDR-Wachturm in den folgenden eineinhalb Jahren wieder auf Vordermann gebracht. Dabei mussten Zimmermann und seine zwei Kollegen alles aus eigener Tasche bezahlen. Glücklicherweise erhielten sie tatkräftige Unterstützung von Handwerkern, die die Renovierungsarbeiten zu fairen Preisen vornahmen.
Von der Stadt Berlin hat man hingegen nicht einen einzigen Cent gesehen. „Aber immerhin hat die Stadt die Hauptstraße mit einem Wegweiser versehen, um auf uns aufmerksam zu machen“, zeigt sich Zimmermann versöhnlich.
Dieser scheint seine Wirkung zu zeigen. Etwa 50-100 Leute kommen täglich in die Erna-Berger-Straße, um sich das Stück DDR-Zeitgeschichte anzusehen. Die Interessenslage sei jedoch sehr unterschiedlich, sagt Zimmermann. „Manch einer stellt eine halbe 29Stunde lang Fragen, andere machen nur ein Foto und gehen wieder.“ Deshalb sei es auch schwer sich auf konkrete Besucherzahlen festzulegen. Der ein oder andere wisse wohl nicht einmal, um was genau es sich handelt, sondern mache nur ein Foto, weil der Turm alt aussieht, mutmaßt Zimmermann.
Im Wachturm galt Schießbefehl
Heute ist der Turm also eine Touristenattraktion, doch zu welchen Zwecken wurde er genutzt als die Mauer noch stand, will ich wissen. Zu aller erst muss man dabei wissen, dass die Wachtürme nie direkt auf der Mauer standen, sondern zwischen der Vorderland- und der Hinterlandmauer – dem Todesstreifen. Konkret sah das so aus: „Jeweils zwei Soldaten saßen in drei Schichten rund um die Uhr in der Kanzel des Turmes. Sie trugen geladene Gewehre bei sich und konnten Ziele auf bis zu 300 Metern Entfernung gut sehen.“, erklärt Zimmermann den Ablauf. „Dabei galt stets der Schießbefehl.“ Soll heißen, die Soldaten waren, wenn auch nur indirekt, dazu angewiesen Flüchtlinge zu „stoppen“.
Am Ende des Gespräches brennt mir noch eine letzte Sache unter den Fingernägeln, die ich die ganze Zeit schon von Herrn Zimmermann erfahren wollte: Wie kommt es, dass man so viel Zeit, Energie und auch Geld investiert, um sich einer Sache anzunehmen, die in meinen Augen Aufgabe der Stadt wäre. „Der Turm gehört nun einmal zu Berlin und seiner Geschichte und ist der letzte seiner Art. Er ist eines der letzten Monumente der Teilung.“
Von Maximilian Haag