New German Wirtschaftswunder: Berlin zieht Israelis an

17.000 Israelis leben in Berlin. Für ein neues besseres Leben in der deutschen Hauptstadt entfliehen sie ihrer Heimat. Die Schatten der deutsch-israelischen Vergangenheit belasten sie dabei nicht mehr.

Omer sitzt mir in einem Café in Berlin-Schöneberg entspannt gegenüber und trinkt einen Limette-Ingwer-Tee. Höflich und nett wirkt der 21-Jährige, und etwas schüchtern, deutsch spricht er nahezu perfekt. Als ich anfangen möchte, ihn über Israel und seine Beweggründe nach Berlin zu ziehen auszufragen, dreht er den Spieß um und fängt an, stattdessen mich mit neugierigen Fragen zu löchern: Warum mich das so interessiere, was ich nach dem Studium machen wolle, wie mir Israel gefallen habe…und so geht das eine ganze Weile weiter. Schluss mit schüchtern. Typisch Israeli.

Schnell finden wir heraus, dass wir gemeinsame Freunde haben, wir diskutieren über die Unterschiede zwischen Tel Aviv und Jerusalem und unterhalten uns über Wohnungen von deutschen Volontären dort, die er bei diversen Partys von innen gesehen hat. Unser Gespräch bestätigt: Israel, mit seinen knapp acht Millionen Einwohnern und einer Fläche nicht größer als Hessen, ist klein und beschaulich. Anders als Deutschland. Und gerade das zieht viele junge Israelis an. Hemmungen, in das Land des Holocausts zu fliehen, rücken in den Hintergrund.

Ausgerechnet Deutschland!

Der Holocaust ist in Israel ein sehr präsentes Thema. Fast jeder hat damals mindestens einen Verwandten verloren. Natürlich können junge Israelis gestern und heute auseinander halten. Aber was zieht sie jetzt in unser Land? Viele entfliehen der Enge, der Religiosität und der konstanten Anspannung in ihrem weltweit kontrovers in Politik und Medien diskutierten Heimatland. Nach drei Jahren verpflichtendem Militärdienst für Männer, zwei für Frauen, möchten viele hinaus in die weite Welt und die Luft der Freiheit schnuppern. Indien und Südamerika gehören zu den Top-Zielen für israelische Weltenbummler. Wer anfängt zu studieren, zieht in eine der israelischen Universitätsstädte: Haifa, Jerusalem, Beersheva oder Tel Aviv. Die säkularen, freiheitssuchenden unter ihnen wählen meist letzteres. Hier trifft man Menschen jeden Schlages: vom verrückten Hippiemusiker bis zum selbstbewussten Businessmann. Fast wie in Berlin.

Tatsächlich wird die israelische Großstadt oft mit Berlin verglichen. „Wie Berlin halt, nur am Meer“, sagt Konstanze (22), Berlinerin und ehemals Volontärin in Tel Aviv. „Viele meiner israelischen Freunde wohnen mittlerweile hier.“ Offiziell gelistet sind ca. 3000 in Berlin lebende israelische Staatsbürger. Das ist jedoch nur ein Bruchteil der tatsächlichen Zahl. Viele besitzen einen europäischen, meist sogar einen deutschen Pass. Die israelische Botschaft schätzt die Zahl ihrer Landsleute in Berlin auf rund 17.000.

Leben in Berlin ist Freiheit

Viele davon sind Studenten, so wie Omer. Er hat im Sommer die Deutschprüfung bestanden und studiert nun Physik an der Humboldtuniversität. Schon vor seiner Zeit in der Armee knüpfte er Kontakte zu jungen Deutschen in seiner Heimatstadt Tel Aviv und fing an, Deutsch zu lernen. „Deutsch ist eine Sprache des Wissens und vor allem auch ökonomisch sehr wichtig“, beschreibt er seine Motivation. Doch nicht nur die Sprache zog ihn nach Berlin. „Fürs Studium bezahlt man hier fast nichts. Auch die Mieten und Lebenshaltungskosten sind mit israelischen Verhältnissen nicht zu vergleichen. Dort ist alles teurer.“

Der israelische Finanzminister Yair Lapid kritisierte israelische Wahlberliner kürzlich auf seiner Facebookseite. Er verstehe nicht, wie man bereit sein könne, „das einzige Land, das die Juden haben, wegzuwerfen, weil es sich in Berlin gemütlicher leben lässt.“ Viele der Beschuldigten empfinden das als Unverschämtheit, so auch Tamar (25): „Obwohl Mieten und Essen in Israel für den Normalverdiener unbezahlbar geworden sind, verlangt Lapid von uns dort zu bleiben. Soll er daran mal was ändern und uns dann kritisieren!“ Die in Jerusalem aufgewachsene Künstlerin mit deutschem Pass lebt mittlerweile schon seit zwei Jahren hier. Ihre große Liebe lernte sie 2011 bei einem Kurzurlaub in der deutschen Metropole kennen, kurz darauf zog sie um. „Die Freiheit, die diese Stadt ausstrahlt, findet man nirgendwo anders.“

Auch Gil* (38) fühlt sich wohl in Berlin. Groß geworden ist er in einer sehr religiösen Familie in einer Vorstadt Jerusalems. Mit seiner Frau und zwei Söhnen siedelte der Immobilienmakler vor fünf Jahren nach Berlin über. „Für meine Familie und mein Land bin ich zu links. Hier können wir endlich frei atmen und unsere Kinder haben Platz sich zu entfalten.“ In Berlin hat er neben einem großen deutsch-israelischen Freundeskreis einen Job, der ihm Spaß macht und bei dem er fast das Doppelte verdient wie in Israel. Trotzdem vermisst er sein Heimatland. „Wir sind jedes Jahr mindestens einmal dort. Meine Kinder sollen wissen, wo ihre jüdischen Wurzeln liegen. Und vielleicht ziehen wir eines Tages auch wieder zurück.“

Omer hingehen will auf jeden Fall bleiben, wenn möglich. Er ist überzeugt: „Es gibt keine bessere Stadt auf der Welt.“ Seine Familie unterstützt ihn voll und ganz, auch wenn sie ihn natürlich vermisst. „Nur meine Großmutter hätte mich lieber irgendwo anders, als in Deutschland. In Frankreich zum Beispiel.“ Doch davon lässt er sich nicht abbringen. Die Menschen hier findet er „super nett“. Nur das Vorurteil mit der Genauigkeit hat sich für ihn noch nicht bestätigt. „Die sind gar nicht so pünktlich wie ihr Ruf.“ Dass die Berliner in der Hinsicht etwas lockerer sind, wird ihn wohl nicht weiter stören. Das ist ja fast wie in Israel.

* Name geändert

Von Ruth Bauer

 

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