Bundesregierung legt in regelmäßigen Abständen den sogenannten Armutsbericht vor. Er soll Auskunft über die Wohlstandsverhältnisse in Deutschland geben. Jetzt wurden unliebsame Textstellen entfernt.
Am 27. Januar 2000 forderte der Deutsche Bundestag auf Antrag von Rot-Grün die Bundesregierung erstmals auf, einen nationalen Armuts- und Reichtumsbericht aufzusetzen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sieht ihn als „Instrument zur Überprüfung politischer Maßnahmen und zur Anregung neuer Maßnahmen“. Es solle gezeigt werden, was Armut und Ungleichheit für politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen auf Deutschland haben, so Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD).
Zensur macht Bericht obsolet
In der Sache eine noble Idee. Schließlich können die Ergebnisse genutzt werden, um konkrete Maßnahmen zur Armutsbekämpfung voranzutreiben. Wenn allerdings, wie dieses Jahr geschehen, noch vor der Auswertung Textstellen, die der Regierung nicht passen, aus dem Dokument gestrichen werden, kann man sich den Bericht auch gleich sparen.
In der zweiten Fassung der aktuellen Ausgabe fehlt laut Süddeutscher Zeitung etwa der Satz: „Die Wahrscheinlichkeit für eine Politikveränderung ist wesentlich höher, wenn diese Politikveränderung von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstützt wird.“
An dieser zweiten Version können Kanzleramt und andere Ministerien mitschreiben. Bei der ersten hingegen ist nur das Arbeitsministerium involviert. Weiter heißt es in der ursprünglichen Fassung: „Personen mit geringerem Einkommen verzichten auf politische Partizipation, weil sie Erfahrungen machen, dass sich die Politik in ihren Entscheidungen weniger an ihnen orientiert.“ Auch diese Aussagen fehlen jetzt.
Überspitzt heißt das: Wer wohlhabend ist, kann sein Vermögen nutzen, um die Politik nach seinen Vorstellungen zu formen. Wirtschaftlich benachteiligte Menschen hingegen haben die Politik abgeschrieben, da ihre Stimme nicht gehört wird.
Keine Spur vor Reue
Reaktionen von Opposition und Verbänden ließen nicht lange auf sich warten: „Was den Reichen und Mächtigen nicht gefällt, das streicht die Bundesregierung aus ihrem Armuts- und Reichtumsbericht“, zeigt sich etwa Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht empört. Lobbycontrol, eine Initiative für Transparenz und Demokratie, spricht von einer „Zensur“, die „einer Demokratie nicht würdig“ sei.
Schon vor Veröffentlichung des Berichts gab es Kritik von Caritas-Präsident Peter Neher. Ihm „fehlt eine offensive Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass viele tausend Menschen keine Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, obwohl sie ein Anrecht darauf haben.“
Wer denkt, dass das Arbeitsministerium nach all der Kritik zurückrudert, sich entschuldigt und den Bericht in seinen Ausgangszustand versetzt, der irrt. Denn „dass im Zuge dieses Stadiums Änderungen vorgenommen werden, entspricht nicht nur dem Charakter von Ressortabstimmungen, es ist nachgerade ihr Ziel“, so eine Sprecherin.
Täglich grüßt das Murmeltier
Dabei hätte die Bundesregierung doch eigentlich aus dem letzten Armutsbericht lernen müssen. Denn bereits 2013, damals unter Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), wurde der Bericht geschönt. Kritik hagelte es auch von der damaligen SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Drei Jahre später und mittlerweile selbst Arbeitsministerin hat sie nun selbst Änderungen vornehmen lassen und verteidigt diese noch. Aus der Opposition schreit es sich eben immer noch am besten.
Die Tatsache, dass die Änderungen von einem sozialdemokratisch geführten Ministerium in Auftrag gegeben wurden, verleiht der Sache einen noch bittereren Beigeschmack. Denn die SPD versteht sich seit mehr als 150 Jahre als eine „Partei, die für alle Menschen da ist“ und eben nicht nur für die mit höherem Einkommen. Doch auch hier zeigt sich wieder: Wo SPD drauf steht, muss nicht zwingend SPD drin sein.
Von Maximilian Haag
Bildnachweis: Konrad Winkler via www.flickr.com unter CC0