Buch statt Bühne: Poetry Slam zum Nachlesen

Zwei überforderte Schriftsteller erpressen widerwillige Lektoren, weil sie mit der Arbeit des anderen nicht zufrieden sind. So ähnlich soll sich das ereignet haben, als die Berliner Stand-up-Dichter Malte Rosskopf und Felix Lobrecht ihre erste Gedichtsammlung in Buchform brachten. Heraus kam der satirische Roman „10 Minuten? Dit sind ja 20 Mark!“ über das Schreiben eines Buches übers Bücherschreiben.

Im Club Kaffee Burger sitzen Dutzende Mittzwanziger auf Bierbänken. Manche haben es sich in der hintersten Reihe auf Polstermöbeln bequem gemacht, Zuspätkommende reihen sich auf einem Treppenabsatz. Die meisten von ihnen seien wohl keine Studenten, bemerkt Gastgeber Felix Lobrecht scherzend zum Bildungsniveau seiner Zuhörer. Schließlich hätten sie den vollen Eintritt gezahlt.

Dieser ist für die Release-Veranstaltung zum Taschenbuch „10 Minuten? Dit sind ja 20 Mark!“, die jüngste Gemeinschaftsleistung von Lobrecht und seinem Kollegen Malte Rosskopf. Bekannt unter dem Teamnamen „Der Schöne und mein Biz“ treten die 27-Jährigen mit selbstgeschriebenen Texten auf, die sie rhythmisch vor Publikum vortragen. Poetry Slam nennt sich das Format und ist als Hybrid aus Lyriklesung und Stand-up-Comedy zu verstehen. Und seit dem viralen Clip von Julia Engelmann auch Szenefremden ein Begriff.

In lockerer Atmosphäre tragen die druckfrischen Schriftsteller mal abwechselnd, mal gemeinsam aus ihrem Textband vor. Die Mittzwanziger lachen, brüllen und klatschen, nicht nur weil man Whisky ausgibt. Gedichte haben ein Comeback, scheint es. Doch nicht heute, sondern schon in den Neunzigern, klärt Rosskopf auf. „Das Ganze kommt aus Chicago. Damals wollte man Abstand zu langweiligen Wasserglaslesungen gewinnen“, sagt er. Poetry Slam biete dem Publikum mehr Interaktion. Im Wettbewerb treten Dichter gegeneinander an und konkurrieren um Applaus oder Punktwertungen der Zuhörer. Er selbst macht das aus Spaß am Texten, am Teilen, an den Menschen — und ein wenig aus Eitelkeit.

Applaus macht süchtig

Der Worteifer packte Rosskopf schon früh. „Bereits in der fünften Klasse habe ich Werbelieder umgedichtet, wie das der Schoko-Bons“, erinnert er sich. Mit 18 Jahren habe er den ersten Poetry Slammer gesehen, bei einem Workshop in der Schule. „Drei Jahre später stand ich auf einer Slam-Bühne. Die ersten Male haben gut funktioniert. Da weiß man schon, dass man nicht fehl am Platz ist.“

Beim Slammen, wie es in der Szene heißt, ginge es vor allem darum, sich mitzuteilen. „Wenn man etwas macht und es gut findet, dann will man es anderen zeigen“, erklärt Rosskopf den Reiz. Poetry Slam sei ein dankbares Format: viele Auftritte, keine Teilnahmegebühren, ein interessiertes Publikum. Kommt man gut an, bleibt man dabei. „Die Bühne macht süchtig. Das ist ein Applaus, den man im Alltag sonst nirgendwo bekommt.“

Um beim Publikum Anklang zu finden, sei die rhythmische Sprechart ein wichtiger Aspekt. Reime sind dabei kein Muss. „Es gibt auch Künstler, die mit klassischen Gedichten auftreten, mit Reimschemata und Vierzeilern. Da ist es allerdings schwieriger, das Tempo zu variieren und die Pointen zu betonen“, so der 27-Jährige.

Mittlerweile hat der Berliner viele Freunde in der Szene, wie auch den Teamkollegen Felix Lobrecht. Der hauptberufliche Comedian schrieb Rosskopf auf Anraten seines Bruders an, kurz darauf traten die beiden zum ersten Mal gemeinsam auf. Auch zu zweit funktioniert das Bühnenprogramm, obwohl man stilistisch grundverschieden ist. „Es ist relativ egal, was er sagt oder schreibt“, so Rosskopf über seinen Teamkollegen. „Es ist einfach die Rolle.“ Und die setzt vor allem auf eins: Körpersprache.

Lobrecht punktet mit Selbstbewusstsein, Muskeln und Berliner Schnauze. Wortgewandt sind seine Zeilen nicht, unterhaltsam findet man ihn trotzdem.  Über Sprüche wie „Eine Jacke ist nicht schöner, wenn man sie zu zweit kauft“ lacht man auch im Kaffee Burger. „Man muss die Leute auf eine Art ansprechen, die sie nachvollziehen können“, erklärt Rosskopf.

Die häufigste Kritik am Poetry Slam sei, dass viele Texte „einfach offene Türen einrennen“. Wer sich auf die Bühne stellt und sagt, er sei gegen Nazis oder Pegida, erntet tosenden Beifall — bringt aber keine Eigenleistung. Werbesprüche oder das Jugendwort Smombie kommen den beiden deshalb nicht auf die Bühne. „Das ist ein Mechanismus, mit dem man erfolgreich sein kann“, räumt der Slammer ein. „Genau das nehmen wir im Buch ein bisschen aufs Korn.“

Gags wie Lawinen

Dort treiben Lobrecht und Rosskopf ihre Rollen auf die Spitze. „Im Roman zieht Felix bei mir ein, weil er einem Verleger versprochen hat, dass wir zusammen ein Buch schreiben.“ Die Deadline hätten die beiden schon mehrmals versäumt. Nun müssten sie innerhalb von wenigen Wochen liefern. „Es sind zwei sehr konträre Persönlichkeiten, die sich sehr mögen und doch so widersprüchlich sind. Der Verleger ist cracksüchtig und macht Druck. Und wir haben vom Schreiben keine Ahnung.“

Parallelen zwischen Realität und Plot gibt es viele, so haben Lobrecht und Rosskopf den Roman tatsächlich in nur drei Wochen geschrieben. Nur der Verleger distanziert sich vehement von seiner Rolle. Häufig setzen die Slammer auf die sogenannten Running Gags. „Je mehr man liest, desto lustiger ist es“, so Rosskopf. „Das ist ein bisschen wie eine Lawine.“

Die Handlung setzt mit einem Streit der Protagonisten ein. Beide haben sie einen Schluss für das Buch geschrieben und werden sich nicht einig darüber, welcher der Bessere ist. Zwei unfreiwillige Lektoren werden zum Lesen gezwungen, durch Erpressung, Nachdruck und Gebrüll. Die Szene lebt vom Dialog, in der Lesung ist der Jubel groß. Ob das in Buchform funktioniert? „Das ist ein Kritikpunkt, der früh an uns herangetragen wurde“, räumt Rosskopf ein. „Ein Buch voller Slamtexte zu lesen, ist ungewohnt. Wir haben so geschrieben, dass man die Charaktere trotzdem nachvollziehen kann.“ Bis jetzt sei das Feedback durchweg positiv.

Von Diana Kabadiyski

Bildnachweis: Marvin Ruppert

Servicetipp: 10 Minuten? Dit sind ja 20 Mark!: Zeit ist Geld und wir haben’s eilig! von Felix Lobrecht und Malte Rosskopf erschien am 15. September 2015 im Satyr Verlag.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.