Bikini Athlete Jessica Baumgarten: Grenzenlose Leidenschaft

Jessica Baumgarten ist Vollblut-Bodybuilder. Es sind noch 42 Minuten bis zum Wettkampf. Jessica Baumgarten ist sichtlich nervös. Sie kommt ihren letzten Farbanstrich, legt sich auf ihre Isomatte und stopft sich eine halbe Tafel Schokolade in den Mund. Wie, Schokolade? So kurz vor dem Wettkampf? Ich verstand die Welt nicht mehr.

Ich beobachte Jessica eine ganze Weile. Sie hatte ihre Augen mit falschen Wimpern beklebt, Silikoneinlagen unter ihr Bikini-Oberteil versteckt und ihr Gesicht mit fünf Kilo Schminke zugekleistert. 300 Swarovski-Steine glitzerten auf ihrem Bikini und ihr Körper war der Beweis für tägliches Training, eine achtmonatige Massephase, eine viermonatige Diät und eine grenzenlose Leidenschaft.

Jessica Baumgarten wird heute zum achten Mal auf der Bühne stehen, zum dritten Mal in dieser Saison. Gleich wird sie sich ihren zwölf Mitstreiterinnen stellen. Sie werden um die Wette posieren, nicht aufhören, den Po ins Publikum zu strecken und ein Dauergrinsen aufzusetzen. Aber Jessica wird Hessische Meisterin, da bin ich mir sicher.

Niemand ist unschlagbar

Vor einer Woche las ich einen Instagram-Post von ihr: „Ich sitze grade an der Arbeit, esse mein Hühnchen mit Brokkoli und habe schon wieder drei Liter getrunken, denn es ist #peakweek – die dritte in Folge. Samstag steht der vorerst wichtigste Wettkampf für mich an. Die Hessische Meisterschaft in Butzbach. Mein Ziel diesmal: ICH WILL GEWINNEN!“

Jessica Baumgarten: Die richtige Ernährung ist genauso wichtig wie hartes Training
Jessica Baumgarten: Die richtige Ernährung ist genauso wichtig wie hartes Training

Auch ihre 9000 Follower sind sich sicher, dass Jessica dieses Mal auf dem ersten Platz landen wird und sprechen ihr in den Kommentaren viel Mut zu. Die Statements lauten: Viel Glück! Top Form. Ich glaub ganz fest an dich! Gib Gas! Viel Erfolg und Kraft für die letzten Tage.
Einer der letzten Instagram-Posts vor dem Wettkampf beweist, dass Jessica, trotz aller Muskeln, auch eine weiche, emotionale Seite hat. Auf Instagram schreibt sie: „Ich habe die letzten zwölf Monate alles für diesen einen Tag gegeben, in jeder Trainingseinheit für diesen Tag gekämpft, sechs Monate für diesen Tag diätet. Zwölf Mädels werden Samstag in meiner Klasse um die Quali für die Deutsche Meisterschaft kämpfen, alle sind gut – ABER NICHT UNSCHLAGBAR!“

Und damit hat sie Recht. Alle sind gut, aber niemand ist unschlagbar, denke auch ich, als ich mir ihre Mitstreiterinnen aus der Ferne ansehe. Doch dann ist es auch schon Zeit, den Vorbereitungsraum zu verlassen und mir einen Platz im Publikum zu ergattern. „Du schaffst das“, zwinkere ich ihr noch einmal zu. Ich setze mich ins Publikum und warte gespannt auf ihren Auftritt.

Der große Auftritt

Alle Scheinwerfer sind auf die Mädchen gerichtet. Alle tragen sie ähnlich hohe Schuhe, Bikinis in allen Farben, Swarovski-Steine, Silikoneinlagen und falsche Wimpern. Jessica tritt in der Bikini Klasse an. Eine symmetrische Körperform, Proportion, weibliche Ästhetik, Frisur, Make-up, sportive und feminine Gesamterscheinung werden hier bewertet. „Eine gute Form ist relevant, Muskulosität oder Definition sind aber keine Wertungskriterien“, lautet die Bewertungsrichtlinie des Deutschen Bodybuilding- und Fitnessverbands.

Bodybuilderin Jessica Baumgarten im Wettbewerb
Bodybuilderin Jessica Baumgarten im Wettbewerb

Die Bikini-Klasse wird nochmals unterteilt in drei verschiedene Gruppen: Frauen bis 1,63 cm, bis 1, 69 cm und über 1,69 cm Körpergröße. Jessica gehört zu den Großen. Auf der Bühne werden die Mädchen dann dazu aufgerufen, ihren Körper in vier verschiedenen Positionen zu präsentieren.

Vorder- und Rückenansicht: gerade stehen, Kopf aufrecht halten, Blick geradeaus, ein Bein leicht zur Seite gespreizt, rechter Arm lässig in die Hüfte gestemmt, linker Arm im Ellenbogen leicht gebeugt. Bei der Rückenansicht Oberkörper nicht nach vorne beugen. Und zu alledem sollten bei der Rückenansicht die Haare nicht den Rücken verdecken

Seitenansicht: leichte Drehung des Oberkörpers zur Jury, Blick zur Jury, Hände im Bereich der Oberschenkel, rechte Hand an der rechten Hüfte, ein Oberschenkel seitlich leicht gebeugt, Beine leicht gespreizt, linker Arm im Ellenbogen leicht gebeugt und von der Mittellinie des Körpers etwas nach hinten.

„Arsch raus, Jessica“

„Go Jessica, go Jessica“, schreie ich aus dem Publikum. „Arsch raus, Jessica“, schreit ihre Trainerin aus der ersten Reihe. Dass die Entscheidung letztendlich bei den fünf Kampfrichterin liegt, scheint hier keinen zu interessieren. Alle feuern Jessica an. 15 Minuten später ist der große Auftritt auch schon vorbei und die nächste Klasse ist an der Reihe.

Für Jessica hat es leider nicht zum Sieg gereicht. Dennoch hat sie einen tollen vierten Platz belegt. Warum sie auf dem vierten Platz gelandet ist, weiß keiner außer den Kampfrichtern. Man kann nur vermuten: Zu dünn, eine schlechte Präsentation oder vielleicht auch nur ein Bikini, der den Kampfrichtern nicht gefallen hat. Trotzdem ist ihr Team sehr stolz auf sie. Auch ich.

Klare Worte auf Instagram

Jessica Baumgarten ist für viele Vorbild auf Instagram
Jessica Baumgarten ist für viele Vorbild auf Instagram

Auf Instagram gibt Jessica drei Tage später ein Statement zur ihrer Platzierung ab: „Klar war ich Samstag, und ich bin es heute immer noch, am Boden zerstört. Das liegt daran, dass ich mich die letzten zwölf Monate auf diesen ersten Platz und diesen Pokal fixiert habe. Natürlich trainiere ich jeden Tag, weil es mir Spaß macht. Ich liebe es, Zeit im Fitnessstudio zu verbringen, an meine Grenzen zu gehen und die Erfolge zu sehen. Die Diät hat mir Spaß gemacht. Ich fand es geil, jeden Abend Stunden in der Küche zu verbringen, vorzukochen und jede Kalorien zu zählen. Aber ich hatte auch dieses Ziel im Kopf, das mir die letzten Monate so unglaublich einfach gemacht hat. Es war dieser erste Platz, dieser Pokal, diese Sekunde, in der man zu zweit hinten steht, der eigene Name genannt wird und man realisiert, dass man gewonnen hat. Dafür habe ich all das getan, aber nicht für den 4. Platz!“ In ihrem letzten Satz aber beruhigt sie ihre Follower: „Ich werde AUF GAR KEINEN FALL mit Wettkämpfen aufhören!“

Zwei Wochen später: Jessica Baumgarten im Interview

Ich treffe Jessica auf einen Kaffee. Sie sieht ganz anders aus ohne falsche Wimpern, Silikoneinlagen und 300 Swarovski-Steinen. Doch unter ihrem T-Shirt erkenne ich den aufgepumpten Bizeps und die runden Schultern. Während wir eine Tasse Kaffee trinken, stelle ich ihr ein paar Fragen zu ihrer Leidenschaft, ihrer Disziplin, ihrer Rolle auf Instagram und ihrem Kampfgeist, niemals aufgeben zu wollen.

TY: Hallo Jessica, kannst du dich bitte einmal kurz vorstellen?

Jessica: „Mein Name ist Jessica Baumgarten, ich bin 22 Jahre alt und komme aus der Nähe von Kassel. Ich arbeite als Bürokauffrau und verbringe jede freie Minute im Fitnessstudio oder in der Küche. Wenn ich nicht grade in der Diät bin, gehe ich natürlich auch mit Freunden aus, shoppen, ins Kino oder auch mal schwimmen.“

Kannst du dich noch an deinen ersten Tag im Fitnessstudio erinnern? Wann war das und warum hast du dich für Sport im Fitnessstudio entschieden?

Jessica Baumgarten: Meist im Fitness-Studio zu Hause
Jessica Baumgarten: Meist im Fitness-Studio zu Hause

„Das kann ich. Mein erster Tag im Fitnessstudio war im November 2013. Ich war damals sehr unzufrieden mit meinem Körper und fand mich zu dick. Nachdem ich dann kaum noch gegessen habe und 10kg abgenommen hatte, fand ich mich zu dünn und habe mich wieder nicht wohl gefühlt. Im Internet habe ich dann Mädels gesehen die Kraftsport machten, hatte nun mein Bild von einem perfekten Körper im Kopf und fing an zu trainieren.“

Aus einem bloßen Hobby wurde bei dir dann ja später eine richtige Leidenschaft. Wie kam das?

„Irgendwann reichte mir das Training allein nicht mehr. Ich wollte an meine Grenzen gehen, schauen, wozu mein Körper und Geist in der Lage sind und mich der Konkurrenz stellen. Durch eine damalige Klassenkameradin wurde mein Interesse an Wettkämpfen geweckt. Von da an hatte ich ein Ziel und aus einem Hobby wurde eine Leidenschaft.

Wie oft trainierst du heute? Und bestimmt verfolgst du einen festen Ernährungsplan, oder?

„Ich verbringe so gut wie jeden Tag im Fitnessstudio und habe das ganze Jahr über einen festen Ernährungsplan. In der Diät wird sich an diesen 1:1 gehalten, außerhalb der Diät gönne ich mir auch mal die eine oder andere Leckerei.“

Wie viele Wettkämpfe hast du schon mitgemacht und welche Plätze hast du belegt?

„Insgesamt waren es acht Wettkämpfe, an denen ich innerhalb zwei Saisons teilgenommen habe. 2015 konnte ich den achten, zehnten, sechsten, zweiten und neunten Patz belegen. Im Frühjahr 2016 wurde es der vierte, dritte und noch einmal der vierte Platz.“

Ich kann mir vorstellen, dass Bodybuilding nicht bei jedem auf Begeisterung stößt. Wie gehen deine Freunde, insbesondere deine Familie mit deiner Leidenschaft um?

„Meine Freunde und Familie können meinen Lifestyle leider nicht verstehen. Am Anfang haben sie mich belächelt, jetzt wissen sie, dass ich es ernst meine und fangen so langsam an, meine Leidenschaft zu akzeptieren. Sich dafür interessieren oder mit zu Wettkämpfen kommen, tut aus meinem Bekanntenkreis jedoch niemand.“

Aber dafür hast du eine große Fangemeinde auf deinem Instagram Account. Seit einem Jahr bist du ja sehr aktiv in sozialen Netzwerken unterwegs. Welche Rolle hast du dort eingenommen? Hast du eine bestimmte Zielgruppe? Die meisten deiner Follower sind bestimmt auch Bodybuilder, oder?

Jessica Baumgartens Arbeitskleidung: Der Bikini
Jessica Baumgartens Arbeitskleidung: Der Bikini

„Auch wenn es sich komisch anhört, sowas von sich selbst zu sagen, aber mittlerweile bin ich für viele ein Vorbild geworden. Ich teile mit den Leuten mein Essen, meine Übungen im Training, Wettkampfbilder und lasse sie an meinem Leben teilhaben. Ich versuche andere zu motivieren und zu zeigen, dass jeder sein Ziel erreichen kann, wenn er bereit ist alles dafür zu tun. Überwiegen sind Mädels im Alter von 15 bis 25 Jahren meine Zielgruppe aber auch viele Männer finden toll, was ich mache und interessieren sich grade in der Diät für meine Ernährung.

Dann stell doch auch jetzt mal dein Können als Motivator unter Beweis. Hat deiner Meinung nach jeder Mensch, der ins Fitnessstudio geht, das Potenzial an Wettkämpfen teilzunehmen?

„Generell würde ich sagen: Ja! Wer es will, kann es schaffen. Man muss an seine Grenzen gehen wollen und man muss jeden Tag mit dem Ziel leben, irgendwann auf der Bühne stehen zu wollen. In der Diät darf es an Disziplin nicht fehlen und wenn dann noch die Präsentation auf der Bühne stimmt, kann nichts mehr schief gehen.“

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass ein Bodybuilding Wettkampf kein Kinderspiel ist und du, vor allem während der letzten Monate vor dem Wettkampf, an deine Grenzen stößt. Wie lang willst du das Ganze noch machen? Und schafft man das physisch und psychisch überhaupt?

„Da hast du recht. Eine Vorbereitung ist alles andere als ein Zuckerschlecken. Wie lange ich das Ganze noch mache, kann ich heute nicht sagen. Solang es mir Spaß macht, bleibe ich dabei! 2016 wird es auf jeden Fall wieder auf die Bühne gehen. Ich habe mir hohe Ziele gesteckt, die ich erreichen möchte und denke momentan nicht daran irgendwann nicht mehr auf der Bühne zu stehen. Man stößt oft an seine körperlichen und geistigen Grenzen, aber wer wirklich dafür lebt tut dies gerne und kann es schaffen.“

Ich bewundere ja sehr deinen Kampfgeist. Zieht dich beispielsweise ein vierter Platz eher runter, oder motiviert er dich gerade noch mehr?

„Im Moment auf der Bühne und die erste Stunden/Tage danach zieht mich ein 4. Platz runter. Ich lebe und kämpfe zwölf Monate jeden Tag für den ersten Platz und wenn es dann ein 4. Platz ist, ist die Enttäuschung natürlich erstmal groß. Aber ein bis zwei Tage später ist mein Kampfgeist wieder zurück, ich stehe im Fitnessstudio, bin motivierter denn je und habe wieder ein Ziel: Platz 1. Im nächsten Jahr!“

Eine letzte Frage: Falsche Wimpern, Silikoneinlagen und 300 Swarovski-Steine – Dein Tipp an alle, die mit dem Gedanken spielen auch mal einen Wettkampf mitzumachen?

„Wer nicht wagt der nicht gewinnt. Versucht es und macht es. Wenn ihr einmal auf dieser Bühne posiert, wisst ihr, ob es das Richtige für euch ist oder nicht. Denkt niemals, dass ihr irgendwas nicht schaffen könnt, ohne es überhaupt versucht zu haben.“

Von Mona Kühlewind (Der Originalartikel ist auf Grossstadtpapier erschienen)

Bildnachweis: Die Bilder stammen vom Facebook-Auftritt Jessica Baumgartens.

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